Babson, Marian
Macho einen Zahnstocher voll köstlicher Garnelen in der
Hand hatte und ihn grübelnd betrachtete, da Roscoe ebenfalls ein Feinschmecker
war. Nicht, dass sie beide es sich nicht hätten leisten können, ihren Tieren
ein paar Riesengarnelen zu kaufen. Sie trieb einfach die freudige Erwartung an,
mit
welcher
Begeisterung ihre Vierbeiner über ein so unerwartetes Leckerchen herfallen würden.
Nach einem
Blick in die Runde ließ Macho den Zahnstocher mitsamt Fracht kurzerhand in der
Jackentasche verschwinden. Lorinda zuckte unwillkürlich zusammen. Wie gut, dass
er derzeit keine Freundin hatte und es keine bedauernswerte Frau gab, die in
diese Tasche hätte greifen können, weil sie das Jackett in die Reinigung
bringen wollte.
»Steht etwa
ein weiterer Notfall unmittelbar bevor?«, fragte Betty ängstlich.
»Der hat mit
Ihnen nichts zu tun«, versicherte Dorian ihr. »Rhylla hat sich von ihrem Sohn
und ihrer Schwiegertochter dazu überreden lassen, während der Ferien auf ihre
Enkelin aufzupassen. Wieder einmal, muss man wohl sagen.« Seine Miene zeigte
keine Spur von Mitleid. »Hier auf dem Dorf wird es viel schwieriger sein, dem
Kind Unterhaltung zu bieten, als zuvor in Knightsbridge. Da konnte sie ihrer
Enkelin die Taschen mit Geld vollstopfen, weil alle Geschäfte, Theater, Museen
und Ausstellungen in London bequem zu erreichen waren. Hier wirst du dir etwas
mehr Mühe geben und dich hin und wieder mit dem Kind unterhalten müssen,
Rhylla.«
»Damit kennst
du dich ja hervorragend aus«, herrschte Rhylla ihn an. »Die Kinder eines
Junggesellen scheinen stets ohne Aufwand groß zu werden.«
Lorinda
entging nicht, dass Gemma den gereizten Wortwechsel nutzte, um einen ganzen
Teller Lendenmedaillons in einem mitgebrachten Frühstücksbeutel verschwinden zu
lassen. Ihre Möpse Lionheart und Conqueror würden heute Abend auch etwas
Erlesenes speisen.
»Ich wünschte,
ich hätte auch daran gedacht«, murmelte Lorinda, als Gemma bemerkte, dass sie
ertappt worden war.
»Es kommt
darauf an, allzeit bereit zu sein.« Mit dem verschwörerischen Zwinkern einer
Frau, die auf tausend und mehr Presseterminen Erfahrungen gesammelt hatte,
drückte Gemma ihr einen leeren Frühstücksbeutel in die Hand.
»Ein
Aasfresser pro Tablett, so lautet die ungeschriebene Regel.« Dann schob Gemma
sie sanft in Richtung einer Gruppe Gäste aus London, die extrem darauf zu
achten schien, dass ja niemand von ihnen zu viele Kalorien zu sich nahm -
jedenfalls in Form von fester Nahrung. Welche Mengen sie in Form von Champagner
in sich hineinschütteten, kümmerte keinen von ihnen.
Lorinda setzte
in einer beiläufigen Art zu einer Erkundungsmission an, die sie sich von
Hätt-ich's abgeguckt hatte, die von ihren beiden Katzen die rücksichtslosere
Jägerin war. Bloß-gewusst dagegen machte sich nichts aus der Jagd. Zwar schien
sie zu wissen, dass es eigentlich eine für sie nützliche Sache war, doch sie
konnte sich einfach nicht dazu durchringen, irgendeiner Beute nachzustellen, die
erst noch getötet werden musste. Ansonsten zeichnete sie sich durch eine
grenzenlose Großzügigkeit aus, indem sie Kieselsteine, Blätter und Blüten
anschleppte und manchmal aus der Hand- oder Jackentasche eines Gastes
irgendwelche Kleinigkeiten zutage förderte. Mehr Jagdgeschick wollte sie gar
nicht unter Beweis stellen.
Hinter Lorinda
zuckte wieder das Wetterleuchten durch die Halle, dem ein tiefes Knurren
folgte. Da sie wusste, dass sich keine Vierbeiner unter den Partygästen fanden,
konnten diese Geräusche eigentlich nur von Macho Magee stammen. Aber aus der
Menge ertönte ebenfalls ein mürrisches Raunen, da Jack Jacldey mit seiner
Kamera inzwischen jedem auf die Nerven ging. So konnte es nicht den ganzen
Winter über weitergehen, ganz gleich, ob die Fotos für sein Buch bestimmt
waren. Irgendjemand würde ihm klarmachen müssen, dass seine Nachbarn ein Recht
auf ihre Privatsphäre hatten. Aber würde er sich davon auf-
halten lassen?
Ein Gespür für die Belange anderer schien er nicht zu besitzen.
»Lorinda Lucas!«
In Gedanken versunken, hatte sie nicht darauf geachtet, dass sie Professor
Borley zu nahe gekommen war. Er fasste sie am Arm und zog sie mit sich in eine
Ecke. »Ich wollte mich schon länger mit Ihnen unterhalten. Nachdem ich mich nun
eingelebt habe, müssen wir einen Termin vereinbaren, damit ich Sie für mein
neues Buch interviewen kann.«
»O ja, das
müssen wir unbedingt machen«, bekräftigte sie und sah hilflos mit an, wie
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