Babson, Marian
sie
schnell genug war, konnte sie die Frau abfangen, bevor die anderen Gäste über
das Essen herfielen.
»Ja, ich muss
auch noch jemanden sprechen ...« Professor Borley nickte zustimmend und
entfernte sich in die andere Richtung, sodass Jackley mit einem Mal ohne Motiv
dastand.
Lorinda warf den Londoner Kollegen ein Lächeln zu, die ihr
zuwinkten, und drückte sich an der Hallenwand entlang, bis sie einen Alkoven
erreicht hatte, der sich bestens eignete, um sich auf die Kellnerin mit dem
vollen Tablett zu stürzen. Von den Marmorwänden hallten Gesprächsfetzen wider,
die von einer Gruppe Kritiker ganz in der Nähe stammten.
»Zeittafeln,
mein Bester, bedeuteten für das Goldene Zeitalter den Untergang. Ich konnte es
kaum glauben, als ich umblätterte und in seinem neuesten Buch eine Zeittafel
entdeckte ...«
»Und erst
Genealogie! Gibt es etwas Schlimmeres? Da komme ich mir immer vor, als müsste
ich am nächsten Morgen eine mündliche Prüfung zum Thema Familienverhältnisse
ablegen ...«
»Serien! Wie
lange soll dieser Serienwahn noch anhalten? Ich bekomme jedes Mal einen
Würgreiz, wenn ich mir ein Buch vornehme und sehe, es geht schon wieder um die
gleichen trübseligen ...«
»Das hängt
alles mit der Zersplitterung des modernen Lebens in den Vereinigten Staaten
zusammen. Diese Leute ziehen ständig von hier nach da. Wenn sie morgens
aufwachen, wissen sie nicht, ob nebenan noch die gleichen Leute wohnen wie am
Abend zuvor. Oder aber sie ziehen selbst auch schon wieder um. Eine ganze
Nation ist im Umzug begriffen, und die Folgen davon bekommen wir auf der
anderen Seite des Atlantiks in ihrer Belletristik zu spüren. Serien sind das
Einzige, was ihnen noch ein Gefühl von Beständigkeit verleiht. Serienfiguren
sind immer da, sie verhalten sich immer gleich, sie sind Teil einer immer
gleichen Gemeinschaft, die in der Realität längst nicht mehr existiert, sondern
nur noch in ihren Träumen ...«
»Und in den
Büchern, die sie lesen wollen. Das mag für sie ja schön und gut sein, aber wir
alle sind viel schneller gelangweilt ...«
»Und wir haben
ein gefestigtes Privatleben ...«
»Aber darum
sind ja auch diese elenden Soap Operas im Fernsehen so erfolgreich. Die sorgen für
die stabilen Verhältnisse, die den Leuten in ihrem Alltag fehlen ...«
»Man fragt
sich nur, wie lange das noch so weitergehen kann. Früher oder später hat das
Publikum davon die Nase voll, und der Trend wird einbrechen. Das ist bei den
Horrorromanen so gewesen, als jeder Autor versucht hat, auf den fahrenden Zug
aufzuspringen ...«
»Und Romane
über Privatdetektive. Kaum einer von ihnen dürfte inzwischen noch Freunde,
Verwandte oder Geliebte haben ...«
Gellendes
Gelächter wurde von den Marmorwänden zurückgeworfen und vermischte sich zu
einer ohrenbetäubenden Kakophonie.
Die Kellnerin
näherte sich, und Lorinda machte sich zur Attacke bereit, wobei sie versuchte,
die lachende Kritikertruppe zu ignorieren. Mindestens drei dieser Verräter
hatten jedes neue Abenteuer von Miss Petunia bejubelt, als könnte sich ihre
Begeisterung nicht noch weiter steigern lassen -und jetzt war herausgekommen,
was sie in Wahrheit dachten.
Kein Wunder,
dass viktorianischen Bankdirektoren der Ruf anhing, allwissend zu sein. Ihre
Kunden konnten nicht ahnen, dass diese beeindruckenden Marmorwände einzig dem
Zweck dienten, ihnen in den Rücken zu fallen. Ein unüberlegtes Wort an den
Ehepartner oder Kollegen, und schon war das Schicksal in Form von
Kreditkündigung und Bankrott besiegelt.
»Ich habe zwei
Katzen zu Hause«, sprach Lorinda die Kellnerin in der Absicht an, das Tablett
schamlos zu plündern. »Wenn ich den beiden nichts zu essen mitbringe, werden
sie mir das nie verzeihen.«
»Oh, ich
weiß«, erwiderte die Kellnerin. Lorinda erkannte in ihr eine Helferin aus dem
Friseursalon im Dorf. »Sie haben diese beiden süßen scheckigen Katzen.«
»Ja, richtig.
Die Schildpatt ist Hätt-ich's, die Bunte heißt Bloß-gewusst. Die zwei sind
Geschwister.« Lorinda häufte Hühnchen, Rindfleisch und auch ein paar
Cocktailwürstchen in einer bereitgehaltenen Serviette aufeinander, ehe sie
alles in den Plastikbeutel verpackte. Dann griff sie noch großzügig bei den
Käse-Zwiebel-Quiche zu und biss von einer ab. Sie wusste, ihre Katzen machten
sich nichts aus Gebäck.
»Sie können
ruhig noch mehr für Ihre Kleinen mitnehmen«, sagte Elsie - ja, genau, sie hieß
Elsie - verständnisvoll. »Hinten haben wir noch mehr als genug. So viel
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