Baby-Bingo
oder?«
Ich schüttle den Kopf.
»Nein, Martin, die haben sich nicht geirrt. Ich weiß es. Ich hatte schon letzte Nacht so ein komisches Gefühl.«
»Und jetzt?« Er schaut mich fragend an.
»Am Montag werde ich operiert.«
»Warum, Martin? Warum?«
Ich sitze auf dem Boden in unserem Wohnzimmer und umklammere fest die Wärmflasche, die immer noch lauwarm ist. Tränen laufen mir übers Gesicht.
»Ich weiß es nicht, Amore. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, sagt mein Vater immer.«
Martin setzt sich neben mich auf den Boden und reicht mir ein Taschentuch.
»Wahrscheinlich hat irgendetwas nicht gestimmt, hat sich nicht richtig entwickelt. Und dein Körper hat dann eine Entscheidung getroffen. Vielleicht ist es in diesem Fall ja besser so.« Er nimmt mich in den Arm. »Schau mal, das Wichtigste ist doch, dass es überhaupt geklappt hat. Du kannst schwanger werden. Und wenn es einmal funktioniert hat, dann funktioniert es auch ein zweites Mal.«
»Und wenn es kein zweites Mal gibt, Martin?«
Ich sehe ihn ernst an. »Weißt du eigentlich, was das für ein Wunder war, dass ich überhaupt schwanger geworden bin? Du hast doch gehört, was Doktor Faber gesagt hat. Die Wahrschein lichkeit, mit Ende 30 noch schwanger zu werden, ist wie ein Bingo-Spiel. Und so ein Glück hat man nur einmal im Leben.«
Mir laufen wieder die Tränen übers Gesicht. Ich verstehe, dass Martin mich trösten will. Für ihn ist es ja auch schlimm. Er hatte sich genauso auf unser Baby gefreut wie ich. Aber trotzdem ist es für mich etwas anderes. Ich meine, er ist ein Mann. Und ein Mann kennt einfach nicht dieses Gefühl, wie es ist, wenn da gerade ein kleines Leben in dir entsteht. Obwohl ich ja noch gar nichts spürte, hatte ich bereits eine Verbindung zu dem kleinen Untermieter in mir aufgebaut. Auch wenn er gerade erst anfing, sich gemütlich bei mir einzurichten. Und viel zu früh schon wieder ausgezogen ist.
Für den Rest des Tages lege ich mich ins Bett. Ich will allein sein mit meiner Traurigkeit. Nur meinem Tagebuch vertraue ich meine Gedanken an. Und komme mir dabei wieder vor wie mit zehn Jahren, als ich meinen Vater verlor und mir seitenweise meine Trauer von der Seele schrieb.
Am Abend ruft mich Marie an, und ich erzähle ihr alles.
»Ach, Carla, es tut mir so leid. Ich komme sofort.«
»Musst du nicht. Es tut schon gut, einfach nur mit dir zu reden.«
»Michaels Schwester hat mir erzählt, dass jede dritte Frau schon mal eine Fehlgeburt hatte. Sie selbst sogar zwei, die letzte erst in der 18. Woche. Und jetzt hat sie ein süßes Baby.«
»Wirklich? Jede dritte Frau? Das wusste ich nicht. Aber es ist ja auch nicht unbedingt etwas, worüber man spricht. Weißt du, das Schlimme daran ist, dass ich die ganze Zeit darüber nachdenke, ob es an mir lag, dass ich unser Baby verloren habe. Vielleicht hätte ich an Martins Geburtstag keinen Champagner trinken sollen oder hätte mich mehr schonen müssen. Ich hatte in der letzten Zeit so wahnsinnig viel zu tun in der Agentur.«
»Carla, Schatz, das ist wieder mal typisch für dich. Du meinst doch nicht im Ernst, dass dieser Fingerhut an Champagner oder das bisschen Stress der Grund dafür waren, dass du dein Kind verloren hast! Früher haben die Frauen bis zur Geburt auf dem Feld gearbeitet und bekamen trotzdem gesunde Kinder.«
»Hm, meinst du?«
Und zum ersten Mal fühle ich mich wie ihre kleine Schwester.
»Ich denke, euer Baby hat sich aus irgendwelchen Gründen nicht weiterentwickelt und wäre wahrscheinlich gar nicht lebensfähig gewesen. Du wirst sehen, du wirst bestimmt ganz schnell wieder schwanger.«
Am nächsten Morgen ist der Himmel grau, und es regnet. Das Wetter hat sich meiner Stimmung angepasst. Ich frage mich, wie um alles in der Welt ich es bis morgen früh aushalten soll, unser totes Baby in mir zu tragen. Der Gedanke ist für mich unerträglich. Auch wenn ich weiß, dass es sich dabei ja eigentlich nur um ein kleines Zellhäufchen handelt. Für mich war es bereits Leben.
Der Tag will und will einfach nicht vergehen. Martin zieht sich zurück und putzt stundenlang Schuhe. Seine Art, mit dem Schmerz umzugehen.
In der Nacht schlafe ich schlecht. Ich träume wild und schwitze wahnsinnig. Martin fährt mich am nächsten Morgen ins Krankenhaus. Er wollte sich freinehmen und bei mir bleiben. Aber ich möchte allein sein.
Martin ist so hilflos. Ich merke, wie sehr er mir helfen möchte, aber nicht so richtig weiß, wie er das tun soll. Wie soll er auch, ich
Weitere Kostenlose Bücher