Babylon: Thriller
ihn. Kaltes Neonlicht erhellte die blau-weiße Küche.
War sie vielleicht ins Geisterzimmer gegangen? Als ich die Tür öffnete, drang der Geruch, den ich schon vorher wahrgenommen hatte, in den Flur, aber der Raum selbst war dunkel und verlassen. Am Ende des Korridors befand sich eine zweite Treppe. Sie wurde zu Minas gesellschaftlicher Blütezeit von den Hausangestellten benutzt. Sie führte zu einem weitläufigen Obergeschoss mit Schlafzimmern, Bädern, Wandschränken und kleinen Kammern.
Dorthin musste Laurel sich zurückgezogen haben, wahrscheinlich um mich nicht zu stören. Da ich den Schalter der Treppenbeleuchtung nicht fand, stolperte ich die Treppe im Dunkeln hinauf. Die Holzstufen ächzten unter meinem Gewicht. Ich gelangte in die düstere Schlucht eines schmalen Korridors und blieb stehen, legte den Kopf schief wie ein wachsamer Hund und lauschte auf irgendwelche Geräusche von ihr.
Da ich nichts hörte, rief ich abermals nach ihr. Meine Stimme hallte laut von den Wänden wider. Ich ging mit ausgestreckten Armen weiter, bis ich die Wand berührte. Indem ich die Holztäfelung als Wegweiser benutzte, bewegte ich mich langsam durch den Flur.
Ich fand einen Schalter. Als ich ihn betätigte, leuchteten einige antike Wandlampen auf. Ich setzte meinen Weg fort, öffnete weitere Türen und rief Laurels Namen. Es war nicht zu übersehen, dass schon seit längerer Zeit niemand mehr hier oben gewesen war; hier herrschte eine Atmosphäre der Stille und Leere. Ich wischte mit der Hand über eine Leiste der Holztäfelung, und meine Finger waren mit Staub bedeckt. Meine Unruhe steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Ich setzte die Suche fort, obwohl mein Bauchgefühl mir längst sagte, dass ich sie nicht finden würde. Als mein Gehirn schließlich die bittere Tatsache akzeptierte, wurde ich von einer Woge der Traurigkeit erfasst. Plötzlich hatte ich keinen anderen Wunsch, als diesen Ort so schnell wie möglich hinter mir zu lassen.
Was hatte sie getan – war sie in die Regennacht hinaus geflüchtet? Gewiss hätte sie eine kurze Notiz hinterlassen, wenn sie bereits nach New Haven aufgebrochen wäre. Ein erster Verdacht, dass irgendetwas nicht stimmte, kam mir, als ich die Rotunde betrat. Ich bemerkte eine schmale Öffnung, einen Spalt in der Holztäfelung, wo der Marmor und ein Streifen Holzintarsien zusammentrafen. Natürlich. Es musste auch noch einen anderen Ausgang geben als nur den Fahrstuhl. Aber wenn man nicht mit der Hand über die Wand fuhr, solange die Tür geschlossen war, würde man niemals etwas von ihrer Existenz bemerken. Dass die Tür jetzt offen stand, war absolut nicht in Ordnung.
Ich wählte die Nummer von Laurels Mobiltelefon und wurde mit ihrer Voicemail verbunden. Mein E-Mail-Bote zeigte mir den Eingang einer neuen Nachricht an. Sie war vor wenigen Minuten von einer mir unbekannten Adresse abgeschickt worden. Kein Text, nur ein Video-Anhang. Was ich sah, versetzte mich in Angst und Schrecken.
Dreiundzwanzig
Das Video begann mit einem grauen und körnigen Hintergrund. Alles war unscharf, dann wurde das Bild klarer und die Kamera richtete sich auf Laurel. Sie hatten sie an ein senkrecht aufragendes Leitungsrohr in einem Raum mit gekacheltem Fußboden und ebensolchen Wänden gefesselt. Es war kein Ton zu hören. Die Bilder wackelten und erinnerten an ein amateurhaftes Hochzeitsvideo. Laurels Körper war zusammengesunken und ihr Kopf wackelte hin und her, als wäre das Genick gebrochen. Ich versuchte zu erkennen, ob ihre Brust sich noch hob und senkte, und suchte nach Anzeichen, die meine Sorge um sie zerstreuen würden.
Jemand außerhalb des Bildes musste einen Befehl gegeben haben, denn sie hob ruckartig den Kopf. Zumindest lebte sie. Noch. Ihr Gesicht war weiß und schlaff, der Ausdruck in ihren Augen spiegelte Schrecken und Angst wider. Sie redete, aber ich konnte von ihren Lippen nicht ablesen, was sie sagte.
Ich stürmte die Treppe hinunter, stolperte mehrmals, stürzte sogar, verspürte jedoch keinen Schmerz. Ich besaß wenigstens noch so viel Geistesgegenwart, halbwegs Haltung anzunehmen, ehe ich die Lobby betrat. Gip wäre sicher nicht hinter seinem Pult. Ich drückte die Tür auf und grüßte den Nachtportier mit einem Kopfnicken. »Kennen Sie Laurel Vanderlin?«
»Ja«, antwortete er.
»Haben Sie sie hinausgehen sehen?«
»Vor fast einer Stunde, ja. Ihre Freundin wollte sie ins Krankenhaus bringen. Ich fragte, ob ich einen Krankenwagen rufen soll, aber die Dame hatte einen
Weitere Kostenlose Bücher