Babylon: Thriller
gesprengt oder auf andere Art und Weise getötet, und all das ohne irgendeinen besonderen Grund. Kurz bevor ich hierherkam, haben ein anderer Reporter und ich Bagdad verlassen, um einer Sache in Al-Nasiriyah nachzugehen. Es war glühend heiß und wir mussten ein beträchtliches Stück durch die Wüste fahren. Dabei rasten alle nasenlang amerikanische Versorgungsfahrzeuge an uns vorbei.
Etwa zwanzig Minuten nachdem wir einen Konvoi passiert hatten, sahen wir ein Stück voraus etwas. Zuerst war es nur ein heller Fleck neben der Straße, wie ein Stück weißen Stoffs, der im Wind flatterte. Als wir näher kamen, konnten wir erkennen, dass es ein halbwüchsiger Junge in einer Dischdascha war. Er machte ein paar Schritte auf die Straße und wich dann wieder zurück, als wäre da eine unsichtbare Linie, die er nicht überqueren konnte. Dabei weinte und schrie er und winkte wie wild.
Unser Fahrer bremste scharf. Ein dunkler Klumpen lag mitten auf der Straße, ein kleines Mädchen oder das, was von ihm noch übrig war. Es war von dem Konvoi überfahren worden. Wir erfuhren später, dass die Kleine, als sie die Versorgungsfahrzeuge sah, auf die Straße rannte, weil die Soldaten ein paar Tage vorher angehalten hatten, um Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen. Ich bezweifle, dass sie überhaupt bemerkt haben, dass sie das Kind überfuhren. Sie sind immer sehr schnell unterwegs, um möglichen Angreifern kein Ziel zu bieten. Ihr Bruder wagte nicht, zu ihr hinzugehen, aus Angst, dass ihm das Gleiche zustieß.«
Das Donnergrollen kam näher. Ich dachte daran, das Fenster zu schließen. »Sie haben anscheinend gelernt, mit Gefahr umzugehen. Sie wissen, auf was Sie achten müssen. Als ich jünger war, habe ich auch einiges abgekriegt, aber das war nicht annähernd so schlimm wie dies hier.«
»Wir …«, sagte Ari. »Wir stecken auch in dieser Sache drin. Sie sind nicht alleine – vergessen Sie das nicht.«
»Trotzdem bin ich in etwas hineingeraten, das ich überhaupt nicht verstehe. Mein Leben wurde mehr als einmal bedroht, und Gott allein weiß, was sie mit Laurel tun. Ich dachte heute Morgen, ich hätte Hals Versteck gefunden – ein Mausoleum auf dem Trinity Friedhof, wo seine Mutter beerdigt wurde – aber ich kam nicht hinein. Ich muss Hals Rätsel bis zum Ende lösen, muss sein Spiel mitspielen, ganz gleich, was es kostet. Um ehrlich zu sein, ich kann mir die weitere Suche finanziell nicht mehr leisten.«
Ari legte mir seine große Hand auf den Arm. »Ich kann zwar nicht versprechen, dass alles gut ausgehen wird, aber ich werde alles tun, damit es dazu kommt. Und machen Sie sich wegen des Geldes keine Sorgen – dafür sorgen wir schon.«
Ich musterte ihn misstrauisch. »Woher soll das Geld denn kommen? Sie sind Journalist und Tomas ist Anthropologe. Es muss jemanden geben, der Sie finanziert.«
»Ein Teil wurde gespendet.« Er wich meinem Blick aus, als verheimlichte er mir etwas.
Laurels Warnung vor Terroristen schoss mir plötzlich durch den Kopf. »Wer?«, fragte ich. »Irgendeine militante Organisation? Ich muss das wissen oder ich mache nicht weiter.«
Ari angelte sich eine weitere Zigarette aus der Packung und rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, ohne sie anzuzünden. Er wollte Zeit gewinnen, vermutete ich, um sich eine Geschichte auszudenken, die ich ihm abkaufen würde. Er lächelte. »Wir Assyrer haben genug damit zu tun, um unser Überleben zu kämpfen. Wir waren froh, das Ende Saddam Husseins miterleben zu dürfen, aber jetzt ergreifen viele unserer Leute die Flucht. Es wird für uns im Irak immer gefährlicher. Das Geld kommt nicht von uns.«
Er studierte mein Gesicht. Ich gewann den Eindruck, dass er überlegte, ob ich die Wahrheit ertragen würde. »Samuel gab uns das Geld. Es kommt von ihm.«
Draußen zuckte ein Blitz über den Himmel. Es kam mir vor, als ob er mich getroffen hätte. »Das ist unmöglich. So viel Geld hat mein Bruder nie besessen.«
»Soweit ich es verstanden habe, hat er irgendwelche Dinge verkauft.« Ari zögerte. »Ich glaube, Ihre Immobilie, Ihre Eigentumswohnung, gehörte dazu. Sie ging an einen Investor in Dubai. Das hat er uns erzählt. Offenbar war der Käufer mit einer längeren Übernahmefrist einverstanden. Die Rede war von vier oder fünf Monaten.«
»Das ist unmöglich.«
»Er wollte Sie darüber informieren. Ich denke, dazu hatte er am Ende nicht mehr die Gelegenheit.«
Ich las in seinem Gesicht, dass er die Wahrheit sagte. Trotz allem hatte
Weitere Kostenlose Bücher