Babylon: Thriller
die Begegnung mit mir ihn irgendwie nervös machte. Wir umkreisten einander wie zwei konkurrierende Rüden, die es auf dieselbe Hündin abgesehen haben.
»Ninive ist eine der legendären versunkenen Städte Assyriens«, fuhr er fort. »Mehr als einhundert Jahre nach ihrer Entdeckung gibt es dort noch eine Menge auszugraben. Ich nehme an, Sie haben Samuel bei solchen Unternehmungen begleitet.«
»Natürlich.« Eine Lüge. Ich konnte Zakar gegenüber weder mein Unwissen noch mein Bedauern darüber eingestehen. Ich hatte darum gebettelt, dass Samuel mich auf seinen Reisen mitnahm, nur um mir eine endlose Litanei von Gründen anzuhören, weshalb das nicht möglich sei. »Warte, bis du älter bist«, tröstete er mich meistens. Und als ich ein Teenager war, fand er andere Begründungen. Irgendwann hörte ich dann auf, ihn zu fragen. Er unternahm mit mir viele Reisen nach Übersee. Wir waren in Florenz, im Louvre und im wunderschönen Pergamon-Museum in Berlin, aber ich schaffte es nie bis in den Nahen Osten.
»Ich beneide Sie darum, bereits in so jungen Jahren so viele fremde Länder bereist zu haben. Zeugen der Geschichte sehen zu können und nicht nur in der Schule davon zu hören und zu lesen … Sie hatten wirklich Glück. Ihre Erinnerungen an Ninive sind nach so langer Zeit sicherlich eher vage. Sie wissen sicherlich noch, dass es zwei Hügel gibt, den Kujundschik als Hauptgrabungsstätte und den Nebi Yunus, das alte Waffenarsenal. Die Ausgrabungen in Nebi Yunus gestalteten sich erheblich schwieriger, weil auf einigen Bereichen Häuser errichtet worden waren.«
»Wurde dort nicht auch ein Tempel für den Propheten Jonah gebaut?«, fragte ich.
»Ja«, erwiderte Tomas, »ein weiterer Grund, weshalb der Zugang zu der Grabungsstätte eingeschränkt ist. Der Tempel gilt im Islam als Heiligtum. Aber Samuel erhielt die Erlaubnis, sich noch einmal auf dem Kujundschik ausgiebig umzusehen. Das Ministerium für Archäologie und Antiquitäten war einverstanden, weil einige der Lehmziegel- und Steinmauern stark gelitten hatten. Wir wurden vom Ausland finanziert und hatten unter anderem den Auftrag, die Ruinen zu schützen.
Für mich ist es immer ein ganz besonderes Erlebnis, wenn der Hügel von Ninive vor mir auftaucht. Wie Sie sicherlich noch wissen, befindet er sich auf einer weiten, ebenen Fläche, aus der er plötzlich wie aus dem Nichts aufragt. Man erkennt sofort, dass er keine natürliche Erscheinung ist. Er hat fast so etwas wie eine spirituelle Ausstrahlung, und das sogar jetzt noch, nachdem einige Jahrtausende verstrichen sind.«
Ich konnte mich an die Berichte über Ninive, damals die größte Stadt der Welt, die ich im Laufe der Zeit gelesen hatte, recht gut erinnern. An Sanheribs prächtigen Palast mit seinen riesigen Statuen aus Stein, die die Türen und Durchgänge bewachten, und an die dekorativen Kalksteintafeln, auf denen jede Phase des Palastbaus festgehalten worden war. Wasserfälle, Karpfenteiche und achtzehn Kanäle verschönten die Parks, in denen Elefanten, Kamele und Affen frei umherwandern durften.
»Wie ist der augenblickliche Zustand der Ausgrabungsstätte?«, wollte ich von Tomas wissen.
Seine dünnen Lippen verzogen sich missbilligend. »Sehr schlecht, fürchte ich. Erdhaufen und tiefe Löcher, wohin man schaut. Die Stätte wurde während der Neunzigerjahre gründlich geplündert. Als wir im vergangenen Jahr unsere Arbeit wiederaufnahmen, konzentrierten wir uns auf ein Gelände in der Nähe des Shamash- und des Halzi-Tors, beides Bereiche, die Layard und Hormuzd Rassam bereits untersucht hatten.«
Ich wusste, dass in Layards Zeit, also zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, archäologische Ausgrabungen kaum mehr waren als notdürftig getarnte Plünderungen. Forscher der ersten Stunde hatten es vorwiegend auf besonders auffällige Stücke abgesehen und schnitten ganze Teile aus Palastreliefs heraus und nahmen nur mit, was ihnen am besten gefiel und was sie ohne große Schwierigkeiten abtransportieren und nach Hause schaffen konnten. Erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als die deutschen Archäologen Robert Koldewey und Walter Andrae ihre Arbeit aufnahmen, wurden das sorgfältige Fotografieren und die präzise Dokumentation von Fundstätten zur gängigen Praxis.
»Es war harte Arbeit. Unsere Männer verbrachten die meiste Zeit damit, neue Stützvorrichtungen zu konstruieren und Mauern zu verschalen. Wir mussten riesige Schutthaufen durchsieben. Der Winterregen füllte unsere Gräben
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