Babylon: Thriller
mir.
»Danke. Es war wirklich schlimm.«
»Ja. Selbst jetzt kann ich noch gar nicht glauben, dass er gestorben ist. Samuel war viel mehr als nur mein Arbeitgeber. Er hat mein letztes Jahr in Oxford finanziert und meinen Eltern unter die Arme gegriffen, als sie ihr Zuhause verloren. Ich kann nicht beschreiben, wie traurig ich war, als mich die Nachricht von seinem Tod erreichte. Es machte mich regelrecht krank.«
Ich verspürte einen Anflug von Eifersucht, als ich mir das anhören musste. Offenbar hatte er im Laufe der Zeit meinem Bruder sehr nahegestanden, aber ich war beruhigt, als ich hörte, dass seine Motive aufrichtig und echt waren. Der Schock in seinem Gesicht war offensichtlich, als ich ihm berichtete, dass Hal gestorben war, nachdem er die Schrifttafel gestohlen hatte. »Wissen Sie etwas darüber? Die Tafel stammte aus neoassyrischer Zeit, und es spricht alles dafür, dass Samuel sie aus dem Irak hierher verfrachtet hatte.«
»Genau deswegen bin ich hierhergekommen. Um sie nach Hause mitzunehmen. Aber Sie wissen sicherlich, um was es sich handelt. Sie müssen sie untersucht haben, als Sie sie fanden.«
»Da gibt es ein Problem. Hal hat sie versteckt, und ich habe keine Ahnung, wo.« Vorerst verkniff ich mir jede Erwähnung von Hals Spiel. Tomas wickelte eine Serviette um die Teekanne und saß schweigend da, hing seinen Gedanken nach und versuchte, diese unerwartete Wende der Ereignisse zu verarbeiten.
Ich versuchte es abermals. »Diese Schrifttafel. Sie steht vielleicht mit alten alchemistischen Lehren in Verbindung – wissen Sie irgendetwas darüber?«
Er hantierte mit seiner Serviette herum und murmelte: »Sie müssen entschuldigen, aber was Sie mir gerade erzählt haben, ist sehr beunruhigend.«
War dies ein Versuch, einer Antwort auf meine Frage auszuweichen? Ich entschied, dass es im Augenblick wohl besser wäre, ihn nicht zu sehr zu bedrängen, und erkundigte mich, wie er Samuel kennengelernt hatte.
»Während meines ersten Jobs im Nationalmuseum. Wie Sie sicher wissen, war Ihr Bruder regelmäßig als Berater für das Museum tätig. Die Leitung hat ihm blind vertraut. Sie konnten es sich nicht leisten, ihm ein Honorar zu zahlen, aber er hat immer irgendwelche Forschungsgelder aufgetrieben. Hat er nie von mir erzählt?«
»In der letzten Zeit hat er kaum über seine Arbeit gesprochen.«
Abermals hielt ich mich mit den Fragen zurück, deren Antworten ich eigentlich am dringendsten benötigte, aus Furcht, ihn endgültig abzuschrecken. Ich wollte diesen Mann ein wenig besser einschätzen können, daher versuchte ich es mit einem anderen Thema, in der Hoffnung, dass er etwas mehr aus sich herauskam. »Haben Sie es geschafft, den Irak noch vor Ausbruch des Krieges zu verlassen?«
»Nein, wir kamen erst raus, nachdem die Amerikaner in Bagdad einmarschierten. Die ganze Stadt befand sich in einem Zustand der totalen Selbstverleugnung. Es war reines Wunschdenken. Die Menschen hingen der Illusion nach, dass die Diplomatie in letzter Minute für ein Wunder sorgen würde. Dann fielen die ersten Bomben. Es war völlig grotesk. Ehe wir begriffen, was überhaupt los war, konnten wir auf CNN sehen, wie rings um uns herum die Gebäude explodierten. Es war unglaublich. Ich konnte im Fernsehen den Verlauf einer Katastrophe verfolgen, während ich mittendrin steckte.«
Ich spürte, wie der Schutzwall, den er um sich errichtet hatte, Risse bekam. Eine solche Erfahrung würde jeden Menschen in seinen Grundfesten erschüttern.
»Ich war einmal in Amiriya, wo während des Golfkriegs von den Amerikanern ein Luftschutzbunker bombardiert wurde. Man konnte die Umrisse der Leiber der armen Seelen, die sich dort verkrochen hatten, auf den Wänden sehen. Die Explosionshitze hatte sie dort wie Schattenwesen verewigt. Es war eine moderne Version dessen, was man gelegentlich bei Ausgrabungen finden kann. Ich denke an die Schauplätze bis dato unbekannter Schlachten, an Städte, die zerstört wurden, an Berge von Knochen, zermalmt und verbrannt. Waren Sie schon mal in Pompeji?«
»Ja.«
»Daran erinnerte mich der Bunker. In der Zeit erstarrte Leichen. Als dieser Krieg begann, war es fast genauso, als sei unsere gesamte Bevölkerung auf einen Schlag regelrecht verdampft worden. Keine Autos mehr auf den Straßen, kein Leben in den Städten. Dann sahen wir, wie sich der Himmel aufhellte. Dieses gespenstische, phosphoreszierende Grün auf den Fernsehschirmen. Wir konnten das Dröhnen der echten Bomben draußen hören und
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