Babylon: Thriller
den Schollen der Erdkruste erzeugt einem Glockenton ähnliche Schallwellen. Man kann sogar den Ton identifizieren – B-Dur.«
Phillip zeigte dann auf die linke obere Ecke des Holzschnitts. »Der Regenbogen stellt das gleiche Prinzip dar: die Farbe – genauso genommen Nichtfarbe – Weiß, die sich in die Spektralfarben aufspaltet. Habt ihr schon mal etwas von einer Eigenschaft namens Synästhesie gehört?«
»Wenn Leute Musik als Farben sehen?«, fragte Laurel.
»Das ist eine Möglichkeit. Im Grunde ist es die Verbindung von zwei verschiedenen Bereichen der Wahrnehmung und ein perfektes Beispiel für Austauschbarkeit. In Dürers Bild symbolisiert die Leiter die Verbindung zwischen Himmel und Erde. In der Renaissance wurden künstlerische Meisterwerke nicht nur als Bilder betrachtet, sondern als Talismane mit magischen Kräften.«
Phillip entblößte wieder seine strahlenden Beißerchen, indem er Laurel anlächelte. »Es gibt eine lange Liste von Notablen – Dante, Mirandello, Dürer, Goethe und mein eigener englischer Edmund Spenser –, die die Idee des ›Einen‹ weiterführten. Der große Isaac Newton war der Letzte, ehe Descartes, dieser Häretiker, alles hinter dem dunklen Vorhang des Rationalismus verschwinden ließ.«
»Können Sie auch noch einige andere Symbole erklären?«, fragte Laurel.
»Es wäre sinnvoller, jemanden zu konsultieren, der sich auf diesem Gebiet besser auskennt. Ich weiß jedoch, dass Dürer sich mit seinem Publikum einige Tricks erlaubt hat.«
»Tricks?« Laurel runzelte die Stirn.
»Es war während der Renaissance keinesfalls allgemein üblich, dass Künstler ihre Werke signierten. Tatsächlich war es vielen sogar verboten, daher waren sie zu einer List gezwungen. In der Schule von Athen versteckte Raffael seine Initialen im Kragen einer der Gestalten im Bild. Dürer benutzte bei seinen Werken oft ein Monogramm, doch in Melencolia 1 versteckte er seinen Namen.«
Er streckte seine langen, knochigen Finger aus, um Laurel freundlich gegen die Wange zu tippen. »Sie haben bis heute Abend Zeit, herauszufinden, wie er das Werk signiert hat. Wenn es Ihnen gelingt, dann geht das Essen auf mich.«
»Das weiß doch jeder Kunststudent im ersten Semester«, sagte ich. »Du meinst sein magisches Quadrat. Alle Reihen und Spalten ergeben in der Addition vierunddreißig. Die unterste Reihe enthält die Zahlen vier, fünfzehn, vierzehn und eins. Die Eins und die Vier stehen für A und D oder alternativ für A.D. 1514, das Datum, an dem er das Werk vollendete. Picasso war davon derart beeindruckt, dass er das Datum des Unbekannten Meisterwerks , 1934, in seinem eigenen Bild versteckte.«
Das reichte nicht aus, um den überheblichen Gesichtsausdruck Phillips wegzuwischen. »Deine Herkunft ist dubios und deine Manieren zeigen das. Das ist nur die erste Methode. Es gibt insgesamt achtundsechzig verschiedene Signaturen, mit denen Dürer sich auf seinen Werken verewigt hat, aber ich befürchte, dass du die raffinierteren gar nicht finden würdest. Du brauchst Hilfe. Claire war anlässlich unserer Spendenparty hier. Warum fragst du sie nicht? Sie sucht es für dich heraus.«
Laurel fand das gar nicht spaßig. »Wenn es Ihnen sowieso egal ist, würden wir es gerne jetzt wissen.«
Diesmal drohte Phillip ihr scherzhaft mit dem Finger. »Warum so eilig? Ich garantiere Ihnen, ich kenne einige der besten Restaurants der Stadt.«
Vierzehn
Auf Laurels Vorschlag hin suchten wir uns im Park am Washington Square einen Platz, wo wir ungestört sitzen und an dem Dürer-Rätsel arbeiten konnten. Der Park war gut besucht und wir waren inmitten der vielen Menschen einigermaßen sicher.
»Phillip ist ein Arsch«, sagte ich. »Er steht in dem Ruf, bei Frauen ein totaler Versager zu sein.«
»Das wundert mich gar nicht. Wer ist Claire?«, wollte Laurel wissen.
»Phillips Exfrau und eine alte Freundin von mir. Es überrascht mich, dass er mir ausgerechnet sie empfohlen hat; ich dachte, zwischen ihnen herrsche totale Sendepause. Sie war Mitbesitzerin von Phillips Galerie und hat später ihre eigene eröffnet. Sie ist Kuratorin im Museum of Modern Art mit einer langen Latte von Referenzen – Diplome in Cambridge und an der Sorbonne und so weiter. Ihr Vater besitzt eine der bedeutendsten Sammlungen okkulter Literatur im ganzen Land. Wenn sie irgendetwas Interessantes wittert, dann lässt sie nicht locker, daher sollten wir versuchen, das Rätsel selbst zu lösen. Ich möchte sie eigentlich nicht um Hilfe
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