Babylon: Thriller
gewann, versank Alexandria, das Zentrum des frühzeitlichen Paganismus, in Bedeutungslosigkeit.«
Er brach ziemlich abrupt ab und wandte sich wieder Laurel zu. »An dieser Stelle kommen die Mesopotamier ins Spiel.«
»Sie meinen Harran.«
»Genau den.« Er strahlte Laurel an, als wäre sie seine beste Studentin. »Die Menschen und Ideen konzentrierten sich dort. Als Harran an Bedeutung verlor, zogen die Gelehrten nach Bagdad, dem Zentrum der Gelehrsamkeit im achten Jahrhundert nach Christus. Dort mehrten vor allem die Sufi-Schulen das hermetische Wissen. Ein Mann im Besonderen, Dschabir ibn Hayyan, erwarb sich den Titel ›Vater der Chemie‹, weil seine Leistungen einfach brillant waren. Er perfektionierte die Destillation, erfand den Destillierkolben und entwickelte die Verfahren, mittels derer man Salzsäure und Salpetersäure herstellen kann.«
Phillip richtete seinen wässrigen Blick auf mich. »Und hier kommen wir zu deiner Alchemie, zumindest soweit es den Blödsinn betrifft, unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Ein bedeutender Sufi-Mystiker in Bagdad stellte in jener Zeit die Behauptung auf: ›Wir sind es, die durch unseren Blick den Staub unter unseren Füßen in Gold verwandeln.‹«
Allmählich reichte es mir mit den ständigen Beleidigungen.
»Die Fachleute konzentrieren sich ausschließlich auf ägyptische Quellen, aber man kann genauso gut Mesopotamien als Geburtsstätte der Alchemie ansehen. Das in Harran und Bagdad gesammelte Wissen gelangte unter maurischer Herrschaft nach Cordoba. Als die Europäer sich während der Kreuzzüge bei ihren Plünderungen und Massakern eine Pause gönnten, brachten sie zahlreiche Texte und hermetische Lehrbücher an sich und schleppten sie mit nach Hause. Zur allgemeinen Belustigung muss erwähnt werden, dass unser eigener König Johann von England, auch Johann Ohneland genannt, von diesen Ideen derart begeistert war, dass er heimlich darum bat, ein Muslim zu werden, mit der Absicht, den Islam in seinem Königreich zur vorherrschenden Religion zu machen. Und ihr werdet es kaum glauben, diese Ehre hat man ihm versagt!«
»Faszinierend, Phillip. Aber ich wollte einiges über Albrecht Dürers Melencolia 1 erfahren.«
Seine Stimme plätscherte weiter, als hätte ich gar nichts gesagt. »Hermetische Denkweisen und Praktiken tauchten während der Herrschaft der Medici in den großen Akademien und Geheimgesellschaften von Florenz wieder auf. Als das Reich der Medici zerfiel, fasste die Hermetik in Venedig Fuß. Dort stellte ein Gentleman namens Manutius, einer der ersten Buchverleger, hermetische Texte her. Im Jahr 1503 durfte er einen berühmten Gast begrüßen – Albrecht Dürer.«
»Dürer hat die Stadt mehrmals besucht«, korrigierte ich ihn. Das hatte ich in Erfahrung gebracht, als ich Recherchen über einige Stücke in Peter Vanderlins Sammlung angestellt hatte. »Seine Augen wurden in Venedig geöffnet. Er liebte die Arbeiten Bellinis.«
Phillip bedachte Laurel mit einem weiteren glückstrahlenden Lächeln, als wäre sie es gewesen, die auf diesen Punkt hingewiesen hatte. »Das tat er. Der Kontakt mit der italienischen Renaissancekultur veränderte seine künstlerische Sicht grundlegend. Die gotische Steifheit seiner frühen Werke machte natürlicheren Formen Platz. Hermetisches Gedankengut wurde von den bedeutenden kulturellen und wissenschaftlichen Geistern der Renaissance aufgenommen.« Abermals deutete Phillips Arm zur Decke. »Meine eigenen Künstler, Michelangelo, Raphael, Botticelli und Tintoretto, gehörten auch dazu. Genau wie sie war Dürer von der hermetischen Philosophie gefesselt.«
Wie nett. Phillip betrachtete die wichtigsten Künstler der Renaissance als sein Eigentum.
Ich wollte etwas einwerfen, um zu unserer ursprünglichen Frage zurückzukehren. Phillip, der genau wusste, was jetzt kommen würde, gebot mir mit einer Geste Einhalt. »Ja, das Bild.« Er ging zu einem Mylar-Schrank, suchte ein Buch heraus und schlug es auf. Es war ein Catalogue Raisonné . Er hielt ihn hoch und deutete auf die obere rechte Ecke eines Bildes. »Die Symbole in Melencolia 1 sind hermetischen Ursprungs. Die Glocke, zum Beispiel, symbolisiert die Verbindung zwischen allen Dingen. Der Klang der Glocke, der sich in alle Richtungen ausbreitet, kann auch etwas Greifbares sein und eine Form haben. Dürer dürfte nicht bewusst gewesen sein, wie tiefsinnig sein Bild wirklich war. Unser Planet funktioniert wie eine Glocke. Die Erde singt regelrecht. Die Reibung zwischen
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