Babylon: Thriller
dachte, du willst, dass ich sie mag.«
»Natürlich. Ich wollte dich auch gar nicht kritisieren. Ich stehe nur ziemlich unter Dampf. Der Typ, den wir gestern im Park am Washington Square gesehen haben, dieser Spaßmacher, er ist mir gefolgt.«
Ich konnte hören, wie sie zischend einatmete. »Oh Mist, John, du musst zusehen, dass du aus dieser Sache rauskommst. Dein Vorrat an knappen Fehlschüssen ist fast aufgebraucht.«
»Das ist eine gute Idee. Aber für dich. Ich wollte, dass du das Gleiche tust, erinnerst du dich? So wie ich es sehe, gibt es für mich nur einen einzigen Ausweg. Ich muss irgendwie rauskriegen, hinter was die Gegenseite her ist, und ein für alle Mal damit Schluss machen.«
In der Leitung wurde es für einige Sekunden still, so dass ich annahm, sie hätte das Gespräch beendet. »Du hast recht«, pflichtete sie mir schließlich bei. »Ich werde mal mit einigen Freunden telefonieren und mich erkundigen, wo ich unterkommen kann.«
»Laurel, wenn du morgen noch hier bist, versuche ich, Claire Talbot im MoMA zu erreichen und mit ihr einen Termin zu vereinbaren.«
»Du willst dich trotz allem mit ihr treffen?«
»Ich komme nicht weiter, ohne die genaue Bedeutung des Senatssiegels zu kennen. Dann kann ich auch eine Kunstexpertin um Rat fragen. Ich habe wenig Lust, noch einmal mit Phillip zu sprechen.«
»Tomas will sich morgen Vormittag mit einem gewissen Jacob Ward treffen. Er ist Professor und lehrt Bibelkunde an der Columbia. Außerdem kennt er Hanna Jaffrey. Sein Fachgebiet sind die kleinen Propheten.«
Ich kannte den Namen nicht, daher musste er seine Lehrtätigkeit aufgenommen haben, nachdem ich die Universität verlassen hatte. »Hat er irgendeine Idee, wo die Jaffrey sein könnte?«
»Offenbar nicht.«
»Ich dachte, Tomas wolle sich zurückhalten, um nicht aufzufallen. Traut er diesem Jacob Ward?«
»Ja, das tut er. Ich sage ihm, er soll die Termine tauschen. Ward am Nachmittag und Claire morgens.«
Ich wünschte ihr eine gute Nacht, legte auf und kam mir ein wenig betrogen vor. Während ich mich draußen mit unseren Widersachern herumschlug, hatten Laurel und die Zakars es sich offenbar gut gehen lassen.
Wieder in meinem Hotelzimmer, tauchte ich einen Waschlappen in heißes Wasser und tupfte damit den Kratzer ab, den der Stacheldraht in meiner Schulter hinterlassen hatte. Ich legte mich ins Bett, aber von Einschlafen konnte keine Rede sein. Ich war unruhig und übernervös.
Ich überprüfte Jacob Ward über mein Mobiltelefon und stellte fest, dass er auf seinem speziellen Fachgebiet ein absoluter Star war, überhäuft mit akademischen Ehren, mit Artikeln in den besten Fachzeitschriften und Lobeshymnen von seinen Studenten. Einige seiner Kollegen widersprachen seinen Erkenntnissen und Ansichten, doch außer diesen kritischen Anmerkungen konnte ich keinen ablehnenden Kommentar über ihn finden. Es wäre sicherlich interessant, den Mann persönlich kennenzulernen. Niemand konnte so perfekt sein.
Als Nächstes blätterte ich in Samuels Tagebuch, und zwar sowohl um mich an seinem Schreibstil zu erfreuen als auch um nach Hinweisen zu suchen, die mir weiterhelfen könnten. Und ich fand tatsächlich etwas.
Samuel hatte ein Bild des Holzschnitts Die babylonische Hure aus Albrecht Dürers Holzschnittserie Die Apokalypse eingeklebt. Darunter hatte er notiert:
Die babylonische Hure von Albrecht Dürer, 1498
Man beachte Dürers Darstellung der babylonischen Hure in der rechten unteren Ecke des Bildes. Sie hält den Pokal hoch und ist eigentlich die Göttin Ischtar – sozusagen der Prototyp für Aphrodite, Venus und Astarte. Die Bibel verwandelt sie von einer Göttin in eine Hure. Dürers Darstellung des Tiers entspricht nicht der Beschreibung in der Offenbarung des Johannes.
Ein paar Seiten weiter war ein weiteres Bild eingeklebt, das er ebenfalls mit einem Kommentar versehen hatte.
Ebenso wie das Salomon-Siegel – der sechseckige Stern, auch Davidsstern genannt – verkörpert der achteckige Stern der Ischtar die Verbindung von Himmel und Erde – das Symbol für die Transmutation.
Der Stern der Ischtar
Mir war nicht bewusst gewesen, dass mein Bruder sich derart für Religion interessiert hatte. Aber hier war der unumstößliche Beweis, in Samuels Handschrift niedergelegt, dass er die Alchemie mit einer assyrischen Gottheit in Verbindung brachte. Doch was hatten der achteckige Stern der Ischtar und die babylonische Hure gemeinsam? In welcher Verbindung dazu stand der verborgene
Weitere Kostenlose Bücher