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Babylon: Thriller

Babylon: Thriller

Titel: Babylon: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D. J. McIntosh
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den Qumran-Rollen, klafft eine Lücke von dreihundert Jahren. Fragmente des Buchs Nahum finden sich in Nummer 4Q169 der Schriftrollen, dem sogenannten Pescher-Nahum, daher hatte ich das Glück, mich teilweise auch daran orientieren zu können.«
    Wir befanden uns in der Obhut eines wahren Meisters und er genoss die Aufmerksamkeit seines Publikums sichtlich. »Wissen Sie, was ein muraqqa ist?«
    »Das ist ein persisches Album, nicht wahr?«, sagte ich. »Wunderschöne Bücher mit aufeinanderfolgenden Papierbögen, die zusammengeklebt und mit Bildern, kunstvoller Schrift und verschlungenen Randverzierungen versehen wurden.«
    »Genau die meine ich«, erwiderte Ward. »Ich betrachte die Bibel unter diesem Aspekt. Die Geschichten des Alten Testaments stammten ursprünglich aus mündlicher Überlieferung. In Schriftform finden wir sie erst seit Anfang des siebten Jahrhunderts vor Christus, als immer mehr Menschen in Juda lesen konnten. Ähnlich wie ein muraqqa ist die Bibel eine Sammlung von einzelnen Teilen. Im Laufe der Zeit wurden ganze Abschnitte entfernt, verändert oder durch neue ersetzt. Die Wortwahl und die jeweiligen Bedeutungen wechselten.« Er lachte. »Ich kenne Kollegen, die jahrelang wegen der Bedeutung von ein paar Sätzen miteinander gestritten haben.«
    »Wurden in einigen Fällen die Änderungen nicht gezielt und mit Absicht vorgenommen?«, fragte Laurel.
    Ward stimmte ihr zu. »Auf einiges trifft das sicher zu. Die Autoren der Bibel wollten einen theologischen Standpunkt darlegen, und Ereignisse wie der Untergang Ninives wurden beschrieben, um diese jeweiligen Gedanken zu illustrieren, und weniger um ein historisches Ereignis zu dokumentieren. Im christlichen Alten Testament wimmelt es von falschen Deutungen. Auge um Auge ist so ein Beispiel – was denken Sie, wenn Sie das hören?«
    »Dass die Strafe dem Vergehen gerecht werden soll«, sagte Ari.
    »Richtig. Aber ursprünglich sollte damit ausgedrückt werden, dass keine strengere Strafe verhängt werden soll, als das Verbrechen verdient. Also fast das Gegenteil der allgemein vorherrschenden Auffassung.«
    »Es ist wie bei diesem alten Party-Spiel«, sagte ich. »Die Gäste stellen sich in einer langen Reihe auf und die erste Person flüstert ihrem Nachbarn einen Satz ins Ohr und beim letzten Gast in der Reihe klingt der Satz plötzlich ganz anders als zu Beginn.«
    »Sie haben es erfasst. Ich habe noch ein anderes Beispiel: Armageddon. Was bedeutet das?«
    »Weltuntergang?«, meine Laurel fragend.
    »Nein. Es ist ein realer Ort, ein griechisches Wort, das eine Örtlichkeit bezeichnet – Har Megadon, den Berg und die Ebene von Megiddo, wo die letzte Schlacht stattfinden soll. Dieser Bedeutungswechsel ist bei weitem nicht so krass, aber er belegt, was ich meine. Keine Geschichte bleibt länger als nur für ein Paar Generationen unverändert. Was einmal alt war, ist plötzlich wieder ganz neu. Manchmal kommt es mir so vor, als sei diese Feststellung eine nahezu perfekte Beschreibung der Realität.«
    »Sie reden von den mesopotamischen Mythen«, sagte ich.
    »Genau. Nehmen Sie nur die alte Geschichte von Kain und Abel. Haben Sie sich nie über die darin enthaltenen Ungereimtheiten gewundert?«
    »Ich kann nicht behaupten, dass ich jemals eingehender darüber nachgedacht habe.«
    »Da sind Abel, der Schäfer, und Kain, der Bauer. Warum war Gott so erzürnt über Kains Geschenk? War es nicht völlig natürlich, dass Kain ihm, als Bauer, die ›Früchte des Feldes‹ zum Geschenk machte? Warum war diese Gabe geringer als Abels, des Schäfers, der sich für ein Tier aus seiner Herde entschied?«
    Tomas, offensichtlich bestrebt, sich von mir nicht übertreffen zu lassen, äußerte seine Meinung dazu. »Schafe waren wertvoller, weil sie auch als Opfergaben dienten.«
    Ward trank einen Schluck Perrier und stand auf. Er unterstrich seine Ausführungen gerne mit ausladenden Gesten, und wenn er saß, litt sein Vortragsstil. »Man muss die Geschichte vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verhältnisse in dieser Zeit betrachten«, sagte er. »Die meisten in Juda ansässigen Hebräer waren Nomaden und Schäfer. Ihre natürlichen Feinde waren Stadtbewohner. Kain ist Bauer und ist daher enger mit festen Ansiedlungen als mit dem Nomadenleben verbunden. Im späteren Verlauf der Genesis werden Sie sehen, dass Kain nach seinem Exil als Städtegründer in Erscheinung trat. Er symbolisierte die Städte, die in der Genesis als Orte der Sünde beschrieben werden –

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