Babylon: Thriller
Arbeit. Das mit seinem Unfall tut mir leid.« Ich murmelte ein Dankeschön. Er ging mit uns nach unten und schlug vor, dass wir uns in den Garten setzten.
Es gibt Menschen, die strahlen eine Lebensenergie aus, die jeden in ihrer Umgebung verblassen lässt. Ward, ein unbestrittener Star im Hörsaal, lenkte viel davon in seine Lehrtätigkeit. Er sah eher aus wie ein Börsenmakler als wie ein Professor. Er hatte ein vierschrötiges, gerötetes Gesicht, durchaus attraktiv, wenngleich ein wenig zu feist. Sein Anzug und sein Oberhemd waren maßgeschneidert; auffällig, aber durchaus elegant geschnitten. Dazu trug er eine Duchamp-Krawatte und einen Ferragamo-Gürtel aus karamellfarbenem Leder. Eine protzige goldene Armkette zierte sein Handgelenk. Seine Fingernägel glänzten viel zu stark, um natürlich zu sein, und ich erkannte, dass sie ihr makelloses Aussehen einer professionellen Maniküre verdankten.
Im Garten nahmen wir in gemütlichen Liegesesseln Platz und erhielten als Erfrischung eisgekühltes Perrier-Mineralwasser mit Limonenscheiben. Dichter Efeu bedeckte die Außenwand des benachbarten Hauses wie ein grüner Wasserfall. Über uns flatterte ein Papierpapagei im Geäst eines Baums. Eine Gruppe großer Pflanzen mit breiten, dunkelgrünen Blättern und trompetenförmige weiße Blumen drängten sich wie Urwaldpflanzen auf den Seitenbeeten. Zwei Tontöpfe rechts und links der Küchentür waren mit Petunien bepflanzt, die den pudrigen, übertrieben süßen Duft eines längst aus der Mode gekommenen Altweiberparfüms verströmten.
Ward deutete mit seinem Trinkglas auf den Baum. »Würden Sie glauben, dass wir hier zwei Kardinäle haben? Mitten im Herzen der Stadt. Für mich ist dieses Viertel immer noch Hell’s Kitchen, obgleich sie ihm mit ›Clinton‹ einen neuen Namen gegeben haben. Eine Idee der Immobilienmakler. Aber ziemlich durchsichtig, würde ich meinen.«
»Soll das eine Anspielung auf Ihren ehemaligen Präsidenten sein?«, fragte Tomas.
Ward kicherte. »Nein, der hat sich in Westchester verkrochen.« Er beugte sich vor und setzte das Glas auf seinem Knie ab. »Ich bin zwei Straßen von hier aufgewachsen. In einer bescheidenen Etagenwohnung im dritten Stock. Meine Frau Miriam hat einiges geerbt. Die Kinder wurden älter und sie wollte etwas mit ihrer Zeit anfangen, daher nahmen wir unser Kapital und erwarben zwei dieser Anwesen. Uns gehört das direkt hinter uns und eins in der 47. Straße. Miriam hat sie von Grund auf renovieren lassen. In ein paar Jahren steigen die Immobilienpreise auf Höchstniveau und dann stoßen wir die anderen beiden Hütten ab.« Er lachte. »Dabei sieht es so aus, als wäre das Pennyglas bald leer. Aber nicht dies hier. Ich habe jedenfalls nicht vor, es aus der Hand zu geben.«
Es schien, als wäre es seine spezielle Eigenart, sehr persönliche Informationen mit jedem zu teilen, den er gerade erst kennengelernt hatte. Doch ich spürte, dass er mit dieser Taktik bewirkte, dass die Leute sich entspannten und ihre Befangenheit ablegten. Nach meiner Schätzung musste das Pennyglas noch ziemlich voll sein. Der Wert seines Immobilienbesitzes bewegte sich im Bereich von zwanzig Millionen und mehr, nicht mitgerechnet das, was sie in Westhampton besaßen.
Er hob sein Glas und schlug die Beine übereinander. »Ehe wir uns Nahum zuwenden, würde ich gerne wissen, weshalb Sie sich ausgerechnet für ihn interessieren. Er ist ziemlich unbedeutend. Daniel oder Ezechiel wären aus archäologischer Sicht um einiges interessanter.«
Tomas lächelte. »Ich stamme aus Mosul. Nahum hat den größten Teil seines Lebens in dieser Region verbracht, daher hat er für mich eine ganz spezielle Bedeutung.«
»Ich verstehe. Eine Vorbemerkung noch zur biblischen Interpretation. Sie beruht im Wesentlichen auf Mutmaßungen. Trotzdem hat sie sich zu einer kleinen Industrie entwickelt. Ich stütze mich auf den Masoretischen Text der hebräischen Bibel. Darauf basiert auch das Alte Testament der Christen. Zusätzlich zu direkten archäologischen Beweisen bediene ich mich auch noch anderer Quellen – mesopotamischer Schriften, römischer und griechischer Historiker –, um bestimmte Interpretationen zu verifizieren.« Tomas nickte zustimmend.
»Dann will ich Ihnen zuerst ein paar Hintergrundinformationen geben. Die erste vollständige Version der hebräischen Bibel lag erst um etwa 560 v. Chr. vor, also in der Zeit nach dem babylonischen Exil. Bis zum frühesten Text, der uns heute zur Verfügung steht,
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