BACCARA EXKLUSIV Band 61
schon.“
„Dann solltest du vielleicht hingehen.“
„Einverstanden“, erklärte sie, ohne zu zögern. „Wann wollen wir am Donnerstag los?“
„Was meinst du mit ‚wir‘, Tonto?“
Plötzlich flackerte etwas in ihrer Erinnerung auf. „Das hast du schon einmal zu mir gesagt.“
Er stutzte. „Ja, ungefähr hundert Mal.“
„Das ist aus der Fernsehserie ‚The Lone Ranger‘. Tonto ist der indianische Freund des Lone Rangers.“ Die vage Erinnerung wurde deutlicher. „Damit habe ich dich dazu gebracht, mir das Fangen beizubringen.“
„Du hast mich in euer Haus geschmuggelt, wo wir uns die Wiederholungen ansahen, während deine Mutter in der Küche das Abendessen zubereitete. Die Granger-Jungs hatten nur einen Fernsehapparat im Aufenthaltsraum, und der war ständig kaputt.“
„Aber meine Mutter hatte einen guten Fernseher. Er war zwar klein, aber er funktionierte immer.“ Sie lächelte. „Ich hatte solche Angst, dass meine Mutter uns erwischt. Und als es dann tatsächlich passierte …“
„Musste ich bestimmt ein paar Zentner Kartoffeln schälen und einen Monat lang den Müll hinausbringen“, fiel er ihr ins Wort. „Es hätte schlimmer kommen können, wenn der Heimleiter es erfahren hätte.“
„Ich habe sie angefleht, es ihm nicht zu erzählen“, erinnerte sich Alisa weiter. „Du hast trotzdem nicht aufgehört, mir das Fangen beizubringen. Wieso eigentlich? Ich konnte dich doch nicht mehr bestechen.“
„Ich habe keine Ahnung. Du warst immer so eine Mischung aus hartnäckig, nervig und nett. Du warst unerbittlich mit dir selbst, aber freundlich zu anderen. Doch im Grunde warst du ein liebes kleines Ding.“
Sie musste darüber lächeln. Immer, wenn sie schon resignieren wollte, lieferte er ihr ein Stück, das die Leere in ihrem Innern ein wenig ausfüllte, und machte ihr Hoffnung, dass sie ihre Vergangenheit gänzlich zurückerhalten würde. Denn jeden Tag fragte sie sich aufs Neue, wie jemand ohne eine Vergangenheit eine Zukunft aufbauen sollte.
Sie merkte, dass sie von ihrer eigentlichen Unterhaltung abgekommen waren, daher wechselte sie das Thema. „Um wie viel Uhr muss ich für die Cocktailparty fertig sein?“
„Überhaupt nicht“, erklärte er und widmete sich wieder seiner Post.
„Hm“, meinte Alisa nachdenklich. „Hast du etwa Angst vor deinen Halbgeschwistern?“
Sein Kopf fuhr hoch. „Um vor etwas Angst zu haben, muss es einem erst einmal etwas bedeuten“, erklärte er in bedrohlich ruhigem Ton.
„Dann gibt es also nichts, was du von ihnen willst?“ Sie musste dieser Sache einfach auf den Grund gehen. Schließlich hätte sie für einen Bruder oder eine Schwester alles gegeben. „Absolut nichts?“, hakte sie nach.
„Absolut nichts“, bestätigte er. Plötzlich hielt er inne und runzelte die Stirn. „Es sei denn …“
„Es sei denn, was?“
„Es sei denn, es ist etwas Geschäftliches.“
Sie seufzte, frustriert darüber, dass er sich schon wieder zurückzog. Eine andere Kindheitserinnerung fiel ihr ein. Dylan hatte sie immer dazu herausgefordert, noch einen kleinen Schritt weiterzugehen. „Ich kann an diesem Punkt nur eines sagen: Ich fordere dich dreifach heraus, zur Cocktailparty zu gehen“, bemerkte sie in Anspielung auf einen Spruch aus ihrer Kindheit.
Dylan starrte sie an, während er über ihre Worte nachdachte. In ihrer Kindheit war er immer derjenige gewesen, der sie ermutigt hatte. Hatte der Unfall sie verändert? Oder war sie schon seit ihrer Trennung so? Obwohl er Alisa bereits so lange kannte, waren ihm doch einige Jahre mit ihr entgangen. Das war jetzt sein Nachteil.
Sie war längst nicht mehr so vertrauensvoll, wie sie ihm gegenüber einmal gewesen war. Sie sah ihn nicht mehr bewundernd an, sondern eher herausfordernd. Und diese Veränderung beunruhigte ihn und zog ihn zugleich an. Er war Frauen gewöhnt, die alles daransetzten, um es ihm recht zu machen. Alisa hingegen schien eher die Absicht zu haben, ihn zu provozieren. Trotz ihrer momentanen Verletzbarkeit war sie in den Jahren der Trennung viel stärker geworden.
Er dachte darüber nach und fluchte leise. Bei der Vorstellung, sich länger als dreißig Sekunden bei seinen Halbgeschwistern aufzuhalten, drehte sich ihm den Magen um. Wie auch immer, die blonde Hexe, die er sich da ins Haus geholt hatte, hatte nicht ganz Unrecht. Er wollte tatsächlich etwas von den Remingtons. Und wenn sein Erscheinen auf einer Cocktailparty ihm dazu verhelfen konnte, würde er eben
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