Back to Blood
wirklich ein Kampf«, sagte Nestor. »Man versucht nicht, dem Kerl wehzutun. Man wälzt sich einfach so lange mit ihm im Dreck rum, bis man ihn festnehmen kann.«
»Im Dreck rumwälzen?«
»So nennen wir das«, sagte Nestor. »›Im Dreck rumwälzen‹. Das kann auf dem Fußboden sein oder dem Gehweg oder mitten auf der Straße — das passiert oft — und oft liegt man wirklich im Dreck, aber das nennt man alles ›im Dreck rumwälzen‹.«
»Aber der Kerl war so groß! «, sagte der Junge.
»Das macht es oft einfacher«, sagte Nestor. »Viele von den richtig großen Burschen fressen sich mit Absicht fett, weil sie dann noch größer werden. Und die haben keine Ahnung, was Training ist. Die wollen einfach groß aussehen.«
»Training?«
»Sie halten sich nicht fit«, sagte Nestor. »Sie joggen nicht. Die meisten machen noch nicht mal Gewichtheben. Dieser große Bursche war auch so einer. An so einen muss man sich nur festklammern und warten, bis er sich ausgepowert hat. Er schmeißt seine fette Wampe hin und her, weil er dich abschütteln will, und weil er nicht in Form ist, geht ihm bald die Luft aus. Er fängt an zu japsen und zu röcheln, und das war’s dann. Man muss sich nur festhalten, die Arbeit erledigt der schon selbst.«
»Aber wie halten Sie sich fest? Der Kerl war ein Riese.«
»Jeder Polizist hat andere Griffe, aber ich bevorzuge den guten alten ›Figure Four mit Doppelnelson‹. In den meisten Fällen reicht der«, sagte Nestor so nonchalant, wie er konnte. Dann erklärte er Philippe den Figure Four und den Doppelnelson.
Inzwischen hatte Philippe sein Neg -Gang-Gehabe vollkommen abgelegt. Er war einfach ein fünfzehnjähriger Junge, der sich fasziniert eine Heldengeschichte aus dem richtigen Leben anhörte. Ghislaine sagte, sie sollten sich doch setzen. Was Philippe bereitwillig tat … er, der eben noch mit seinem Benehmen und Tonfall deutlich zu erkennen gegeben hatte, was so ziemlich das Letzte war, was er wollte: ins Wohnzimmer zu kommen, wo — Ich möchte dir jemanden vorstellen — sicher ein Erwachsener auf ihn wartete. Nestor deutete auf den Sessel, auf dem er eben noch selbst gesessen hatte. Philippe setzte sich. Nestor setzte sich auf die Sofakante und beugte sich zu Philippe vor.
Die beiden unterhielten sich hauptsächlich über bestimmte Aspekte der Polizeiarbeit, über die Philippe sich schon immer den Kopf zerbrochen hatte. Nestor stellte Philippe einige Fragen zu seiner Person und seinen Interessen und ob er jemals Sport betrieben habe … so groß, wie er sei. Philippe gab zu, dass er mal daran gedacht habe, im Baketballteam seiner Highschool zu spielen, dass er sich aber aus diesen und jenen Gründen dagegen entschieden habe. »Auf welche Highschool gehst du?«, fragte Nestor.
»Auf die de Forest«, sagte Philippe mit ausdrucksloser Stimme.
»Ehrlich?«, sagte Nestor. »Auf die de Forest?«
Ghislaine schaltete sich ein. »Philippe ist in der Klasse, wo es diesen Zwischenfall gegeben hat. Ein Lehrer hat einen Schüler angegriffen, es hat Demonstrationen gegeben, und den Lehrer hat man verhaftet. Philippe war dabei, als es passiert ist.«
Nestor schaute Philippe an. Philippe saß wie erstarrt da. Sein Gesicht war eine weiße Wand. Offensichtlich lag sein Interesse, das Thema zu vertiefen, bei null.
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Nestor. »Jeder Polizist erinnert sich daran. Der Lehrer — wie hieß der noch mal? — Estevez? — ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt«, sagte Nestor. »Das ist wesentlich schwerwiegender als einfache Körperverletzung. Dafür könnte er ziemlich lange einfahren.«
Philippe … immer noch ein Eisblock.
»So weit ich mich erinnere, haben unsere Dienststelle und die von Miami-Dade, Hialeah und Doral sofort reagiert, als die Meldung reinkam. Muss ein ziemlicher Auftrieb gewesen sein, die Polizisten von überall … Sirenen, Blaulichter, Megafone — war wahrscheinlich ziemlich verrückt. Schätze, die nehmen so eine Geschichte, wenn ein Lehrer einen Schüler angreift, sehr ernst. Jedenfalls hat am Ende die Schulpolizei das in die Hand genommen. Wir haben damit nichts mehr zu tun, aber ich weiß noch, dass ich mich gefragt habe, wie das wohl alles angefangen hat. Du warst doch dabei, Philippe. Was war der Auslöser?«
Philippe schaute Nestor nur an. Sein Blick war vollkommen ausdruckslos. Als er schließlich antwortete, hörte er sich an wie ein Zombie. »Mr. Estevez hat François, so hieß der, nach vorne vor die Klasse
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