Back to Blood
verletzlicher, schutzloser Unschuld. Er wollte sie in den Arm nehmen ::::::Lass den Quatsch, du Idiot! Schon schlimm genug, dass du deine Nase in einen Fall für die Schulpolizei steckst. Jetzt gibt’s nur eins —:::::: Er riss sich zusammen und schlug sich die Vorstellungen fleischlicher Verlockungen aus dem Kopf. Aber sein Lächeln, sein Blick blieben unverändert. Ebenso Ghislaines … bis sie plötzlich die Lippen leicht zusammendrückte … was Nestor interpretierte als, »Wir können nicht alles aussprechen, was wir auf dem Herzen haben, oder?«
Plopp! Die anschwellende Blase zerplatzte in dem Augenblick, als sie hörte, dass ihr Bruder aus der Küche kam. Sie rief, »Philippe, bist du das?«
»Ja.« Man hörte das Bemühen des Jungen, seine fünf zehnjährige Stimme wie einen männlichen Bariton klingen zu lassen.
»Kannst du mal eben kommen«, sagte Ghislaine. »Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Eine Pause … dann, »Okay.« Irgendwie hatte er es geschafft, seine Stimme noch tiefer im Schlamm seiner tödlich genervten Langeweile zu versenken.
Ghislaine hob die Augenbrauen und verdrehte die Augen. Tut mir leid, aber da müssen wir jetzt durch.
Philippe, ein großer, aber spindeldürrer Junge kam ins Wohnzimmer mit dem typischen schleppend schwankenden Gang, den Nestor sofort als den Pimp Roll erkannte. Der Schritt seiner Jeans hing ihm praktisch zwischen den Knien … an der Gürtellinie, auf Höhe der Hüften, schauten etwa zwan zig Zentimeter einer grell gemusterten Boxershort heraus. Auf seinem schwarzen T-Shirt prangte in protzig gelben Buchstaben der Name einer Neg -Band, die sogenannten Rasta-Rap machte und von der Nestor schon mal gehört hatte, UZ MUVVUZ . Unter dem Schriftzug schaute man in das auf gerissene, vor Zähnen starrende, dunkle Maul eines Alligators. Als krönenden Abschluss hatte sich Philippe ein Bandana in schrillem Grün, Gelb und Rot mit weißen Streifen um die Stirn geschlungen … ein Café-au-Lait-Körper, gehüllt in das schon ziemlich überholte Klamottenklimbim eines schwarzen Street Dude … ein Teenager mit Babygesicht und Gang-Bandana! Der Junge hatte ein zartes Gesicht, zumindest für einen Haitia ner, dachte Nestor … fast Anglo-Lippen … aber eine ein bisschen zu breite Nase … Es war ein freundliches Gesicht … sogar jetzt, als er sich mit zusammengezogenen Augenbrauen, verschobenem Kinn und finsterem Blick im Zimmer umschaute, als wollte er alle Welt wissen lassen, »Ihr könnt mich mal!« … es war trotzdem ein freundliches Gesicht.
Ghislaine stand auf und sagte, »Philippe, ich möchte dir Officer Camacho vorstellen. Ich hab dir von ihm erzählt, weißt du noch? … der Zeitungsartikel über diese Geschichte in Overtown, als ich für South Beach Outreach da war? Officer Camacho ist der Polizist aus dem Artikel.«
Nestor war inzwischen auch aufgestanden. Philippe schaute ihn an. Der Gesichtsausdruck des Jungen hatte sich völlig verändert. Was genau ging auf einmal in ihm vor? War er … misstrauisch? … einfach nur überrascht? … perplex? … oder vielleicht erschrocken über das gewaltige Muskelgebirge in Marine blau-Chiaroscuro, das da plötzlich vor ihm stand? Als sie sich die Hände schüttelten, nahm er seinen ganzen CopCharme zusammen und sagte, »Hi, Philippe!« CopCharme war die Kehrseite der CopBlick-Medaille. Der CopBlick funktionierte, weil der Polizist das Selbstvertrauen dessen hatte, der weiß, dass er die Macht hatte und die offizielle Erlaubnis, sie einzusetzen — und du nicht. Der CopCharme funktionierte aus dem gleichen Grund. Ich habe die Macht — und du nicht — aber im Augenblick ist meine einzige Absicht die, herzlich und freundlich zu sein, weil ich dich bis jetzt akzeptiere. Strahlenden CopCharme empfand ein einfacher Zivilist in der Regel als das Geschenk eines Mannes, dem es erlaubt war, Gewalt anzuwenden. Nestor spürte, wie sich das Verhalten des Jungen vollkommen veränderte, aus einer Dankbarkeit heraus, die ihm gar nicht bewusst war.
Erst schaute Philippe ihn einfach perplex an … der basso profondo war schlagartig verschwunden … und einem ängstlichen Teenagertenor gewichen, als Philippe seinen ganzen Mut zusammennahm und sagte, »Wow … Ich hab Sie gestern Abend online gesehen!«
Nestor verströmte weiter seinen CopCharme. »Ehrlich?«, sagte er.
»Ja, ich hab das Bild von Ihnen und diesem Riesenkerl gesehen. Der war echt groß! Wie kämpft man gegen so einen?«
»Na ja, das ist eigentlich nicht
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