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Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
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gerufen. François hat irgendwas auf Kreolisch gesagt, und dann haben alle angefangen zu lachen. Mr. Estevez ist richtig sauer geworden und hat François gewürgt« — er machte nach, wie er ihn in den Schwitzkasten nahm — »und niedergeschlagen.«
    »Und das hast du alles gesehen?«, fragte Nestor.
    Philippe öffnete leicht den Mund. Er machte jetzt einen eingeschüchterten Eindruck. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Man konnte praktisch sehen, wie es in seinem Kopf rumorte — Berechnungen, Möglichkeiten, Risiken, Lügen. Er brachte kein Wort heraus. Schließlich deutete er ein zögerndes, leichtes Nicken an, offenbar ein Ja, ohne das Ja aussprechen zu müssen.

»Warum ich frage, ist Folgendes«, sagte Nestor. ::::::Zeit, aufs Ganze zu gehen:::::: »Hast du Mitschüler die Patrice Légère, Louis Tremille — Fat Louis mit Spitznamen — Honoré Buteau und Hervé Condorcet heißen?«
    Philippes Gesichtsausdruck löste sich auf, jetzt sprach pure Angst aus ihm. Der Besuch dieses Polizisten, der angeblich mit der harmlosen Anwesenheit seiner Schwester in diesem Crackhaus zu tun hatte, wandte sich plötzlich auf unheimliche Weise gegen ihn . Wieder war es ihm unangenehm, mit Ja oder Nein zu antworten. Er verfiel auf eine Antwort, die sich sofort selbst infrage stellte:
    »Ähhh … ja?«, sagte Philippe.
    »Warum ich frage, ist Folgendes«, sagte Nestor noch einmal. »Ich habe mit einem Detective gesprochen, den ich kenne. Er arbeitet bei der Schulpolizei und sagt, dass einer dieser Jungen seine Geschichte widerrufen hat und dass sie glauben, dass die anderen drei auch widerrufen werden. Alle vier hatten ursprünglich ausgesagt, dass der Lehrer, Estevez, diesen — wie hieß er noch gleich? — François? — dass Estevez diesen François angegriffen hat, aber jetzt sagen sie, dass es genau umgekehrt war. Estevez hat diesen Jungen — François? — in Notwehr in den Schwitzkasten genommen, nachdem der ihn angegriffen hatte. Wenn das stimmt, dann haben sich diese vier Jungs jede Menge Kummer erspart … Verstehst du? … Man könnte sie jetzt schon wegen Falschaussage anklagen. Aber das wird man nicht, wenn sie jetzt die Wahrheit sagen. Hast du eine Ahnung, was passiert wäre, wenn die bei ihrer Geschichte geblieben und als Zeugen vereidigt worden wären? ¡Dios mío! Sie hätten sich des Meineids und der Falschaussage schuldig gemacht! Die sind alle sechzehn oder siebzehn. Sie könnten als Erwachsene verurteilt werden, und da reden wir über echten Knast. Und dann der Lehrer, Estevez! Weiß Gott, was das Gefängnis bei ihm anrichten würde! Er würde für Jahre mit einem Haufen von Gangmitgliedern zusammengesperrt, denen jede Fähigkeit zur Empathie fehlt.«
    Er hielt inne, schaute Philippe scharf an und wartete darauf, dass er fragte, was »Fähigkeit zur Empathie« bedeutete. Aber Philippe war wie versteinert, er brachte kein Wort heraus. Also sagte Nestor es ihm.
    »Die Hälfte des Abschaums, die im Gefängnis sitzt, ist unfähig zu Empathie. Das heißt nicht nur, dass sie nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden können und sich einen Scheiß darum scheren — sie empfinden auch keinerlei Mitgefühl für andere Menschen. Sie kennen kein Schuldgefühl oder Mitleid oder Bedauern — außer man verweigert ihnen etwas, das sie gerade wollen. Was passiert da wohl vier Jungen von der de Forest? — Teenagern? — solchen Kindern reißen die einfach die Hosen runter und — Gottallmächtiger! Na ja, die Einzelheiten erspare ich dir lieber. Jedenfalls hast du keine Ahnung, wie glücklich sich die Jungen schätzen können, dass sie so früh mit der Wahheit rausgerückt sind. Wenn man sie später erwischt, Wuuuuh! « Nestor schüttelte den Kopf und sagte mit einem bitteren Lachen, »Die hätten überhaupt kein Leben mehr. Einatmen, ausatmen, das wär’s!« Wieder ein bitteres Lachen … »Ach, übrigens, wie war dieser Lehrer überhaupt, dieser Estevez?«
    Philippe öffnete den Mund … ohne dass ein Wort herauskam … Todesqualen … Er atmete ein paarmal tief ein und aus … und sagte schließlich mit leiser, piepsiger Kinderstimme, »Na ja … er war … ganz okay.«
    »Philippe!«, sagte Ghislaine. »Du hast mir erzählt, dass du ihn wirklich magst! «
    »Und Patrice, Fat Louis, Honoré und Hervé, was halten die von ihm?«, fragte Nestor.
    »Ich … ich weiß nicht.«
    Nestor spürte, dass Philippe abwehrbereit auf jede weitere Frage wartete. Vielleicht hatte er ihn schon zu sehr in die Enge

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