Back to Blood
Igor achselzuckend. »Sie ist die beste in Russland. Da Sie können fragen jeden russischen Maler. Jeder kennt sie: Mirima Komenensky.«
»Ihre Agentin ist Russin?«
»Klar, warum nicht?« Wieder zuckte Igor mit den Achseln. »In Russland sie verstehen noch was von richtiger Kunst. Handwerkliches Können, Technik, Farben, Chiaroscuro, die das können noch richtig beurteilen.«
John Smith zog einen kleinen Digitalrekorder aus der Tasche, stellte ihn auf den Tisch und hob fragend die Augenbrauen, ob das in Ordnung sei. Igor wischte mit einer großmütigen Handbewegung alle Bedenken in dieser Richtung beiseite.
»Und wie beurteilt man hier in den USA den Realismus?«, fragte John Smith.
»Hier?«, sagte Igor. Allein bei der Frage musste er lachen. »Hier man geht mit Mode. Hier man glaubt, dass Kunstgeschichte beginnt mit Picasso. Picasso war nur bis fünfzehn auf einer Kunstakademie. Er hat gesagt, dass sie ihm da nichts mehr beibringen können. Im nächsten Semester Anatomie und Perspektive standen auf dem Lehrplan. Wenn ich nicht könnte besser malen als Picasso, wissen Sie, was ich würde tun?« Er wartete auf eine Antwort.
»Ähhh … nein«, sagte John Smith.
»Eine neue Bewegung ins Leben rufen, und sie dann nennen Kubismus!« Lachstürme donnerten aus Igors mächtigen Lungen und tränkten die Luft mit noch mehr alkoholisiertem Atem. Nestor glaubte, in der nach Kotze stinkenden Wolke jeden Augenblick ohnmächtig zu werden.
Igor füllte wieder die drei Gläser. Er hob seines hoch und —
»Na zdrowie!«
— kippte sich den Wodaprika in den Rachen. Nestor und John Smith hoben ihre Gläser zwar auch an die Lippen und warfen ihre Köpfe nach hinten, taten aber nur so, als ob. Als sie ihre Köpfe wieder hoben, stießen sie ein vermeintlich zufriedenes Ahhhhhhhhhh! aus, umklammerten aber mit den Händen die Schnapsgläser und verdeckten so das bernsteinfarbene Belastungsmaterial.
Igor war viel zu betrunken, um das noch zu bemerken. Seit sie da waren, hatte er fünf große Schnapsgläser geleert — und nur Gott wusste, wie viele vor ihrer Ankunft. Nestor war schon nach dreien randvoll. Allerdings fühlte er sich alles andere als angenehm berauscht. Er fühlte sich vielmehr, als wäre sein zentrales Nervensystem so geschädigt, dass er nicht mehr klar denken oder seine Hände sinnvoll gebrauchen könnte.
»Was halten Sie von abstrakter Kunst?«, fragte John Smith. »Von … sagen wir … Malewitsch, den Malewitsch-Gemälden, die man neulich dem Koroljow Museum of Art gestiftet hat?«
»Malewitsch!« Diesmal wirbelte ein wahrer Orkan aus Alkohol aus Igors Mund. »Komisch, dass Sie gerade erwähnen Malewitsch! « Er zwinkerte John Smith zu, und der Orkan wurde stürmischer. »Malewitsch hat gesagt, der realistische Künstler muss nur kopieren das Bild, das Gott ihm schon hat geschenkt. Aber der abstrakte Künstler selbst muss Gott sein und selbst muss alles erschaffen. Glauben Sie mir, ich kenne Malewitsch!« Wieder ein Zwinkern. »Das er sagen musste! Ich habe gesehen seine ersten Arbeiten. Er versuchte realistisch zu sein. Aber er nicht besaß die Fähigkeiten! Null! Wenn ich malen würde wie Malewitsch, wissen Sie, was ich dann würde tun? Eine neue Bewegung ins Leben rufen, und sie dann nennen Suprematismus! Wie Kandinsky!« Er lächelte John Smith vielsagend an … »Haben Sie gesehen Kandinskys frühe Sachen? Er hat versucht zu malen ein Haus … hat ausgesehen wie ein Laib Brot! Also er lässt es bleiben und verkündet, dass er eine neue Bewegung ins Leben ruft, und die er nennt Konstruktivismus!« Jetzt wurde John Smith ein Zwinkern und ein Lächeln zuteil.
»Was ist mit Gontscharowa?«, fragte John Smith. Jetzt waren drei Künstler im Spiel, Namen, für die tout le Miami dem gefeierten, dem großzügigen Koroljow so dankbar gewesen war. Wie viel Kultur, wie viel Glanz hatte die Stadt ihm zu verdanken!
Igor schenkte John Smith ein verschwörerisches Lächeln. »Ja! Stimmt! Wir beide denken genau das Gleiche.«
»Gontscharowa?!«, rief Igor. »Sie ist Dilettantischste von allen. Sie nicht kann malen, also sie veranstaltet Chaos aus kurzen geraden Linien, und die verlaufen so und so und zwischen durch, ein wahres Durcheinander, und dann sie sagt, dass jede Linie einen Lichtstrahl darstellt, und nennt das Ganze ›Rayonismus‹. Rayonismus! Weil nämlich meine Kunst ist eine neue Kunst, und warum sollte ich, die Schöpferin, zurückschauen und mir Gedanken machen über dieses ganze schon abgenutzte
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