Back to Blood
und überholte Zeug … der Strich, die Anatomie, die drei Dimensionen, die — wie sagt man hier? Formgebung? — die Perspektive oder die Farbharmonie, warum ich soll mir Gedanken darüber machen? Das ist alles erledigt — schon seit Jahren … seit Jahrhunderten. Alles gestorben, alles Vergangenheit. Warum mich abgeben mit der Vergangenheit! Ich stehe an der Spitze! Dieses ganze Zeug, das liegt alles weit zurück!« Er deutete nach hinten, nach vorn, nach oben. »Ich stehe über den ganzen Krempel.«
»Was diese Künstler gemacht haben, Malewitsch, Kandinsky, Gontscharowa, könnten Sie das auch?«, fragte John Smith.
Igor brach in dröhnendes Gelächter aus und begann mit den Füßen auf den Boden zu trampeln. Er bekam einen regelrechten Lachkrampf. Er lachte, bis ihm die Tränen über die Backen liefen. »Kommt drauf an, was Sie meinen damit! Wenn Sie meinen, ob ich dazu bringen kann die Amerikaner, dieses alberne Geschäft ernst zu nehmen und richtig Geld dafür zu bezahlen? … Nein — ich nicht könnte mich zusammenreißen, ich dauernd müsste lachen!« Wieder packte ihn ein Lachanfall. Es kostete ihn einige Anstrengung, sich wieder in den Griff zu bekommen. »Hören Sie auf, mich dauernd zu bringen zum Lachen. Das ist einfach zu lustig. Das mir tut gar nicht gut … ganz und gar nicht …« Schließlich hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Wenn Sie aber meinen, ob ich auch so malen könnte … Jeder könnte das! Ich auch, nur dass ich mir dann auch ständig anschauen müsste diesen gowno! « Bei dem Gedanken kam aus seinem Schlund wieder ein Rumpeln und Gurgeln. »Ich mir dabei müsste die Augen verbinden …« Rumpel gurgel gurgel rumpel … »Ich kann es mit verbundenen Augen!«
»Was meinen Sie?«, sagte John Smith.
»Ich habe es schon gemacht mit verbundenen Augen.«
»Ernsthaft? Oder wollen Sie mich hochnehmen?«
»Nein, ich habe solche Sachen schon gemalt mit verbundenen Augen!«
Das Ich kann es mit verbundenen Augen hatte er noch unter leicht gurgelndem Kichern herausgebracht … aber beim Nein, ich habe solche Sachen schon gemalt mit verbundenen Augen konnte er nicht mehr an sich halten. Das Rumpeln, Gurgeln, Kichern, Donnern und Dröhnen platzte aus ihm heraus — eine Explosion, die ihren Weg aus seinen Lungen über den Kehlkopf und die Lippen ins Freie fand. Er konnte nichts dagegen machen. Er trampelte wieder mit den Füßen auf den Boden, seine Fäuste und Unterarme fuhren auf und ab. Er war außer sich. Nestor tat so, als fotografierte er ihn, bis er erkannte, dass es sinnlos war. Er schaute John Smith an und verzog das Gesicht. Aber wieder war es John Smith, der einen klaren Kopf behielt. Er schaute Nestor todernst an. Während Igor mit geschlossenen Augen dasaß und sich vor Lachen nicht halten konnte, machte er Nestor Zeichen, ein Glas zu füllen. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Küche. Heftig bewegte er den Kopf hin und her, auf seiner Stirn war eine ärgerliche Falte zu sehen. Na los, beeil dich! Hol noch was von dem Wodaprika! Mach schon, das ist ein Befehl!
Wofür hielt er sich eigentlich? Glaubte er wirklich, dass ich, Nestor Camacho, sein Fotograf war? Trotzdem tat Nestor wie befohlen — ging schnell zur Küchentheke, füllte ein Schnapsglas mit Igors Na zdrowie -Aprikosengebräu und brachte es John Smith. Er konnte sich einen verärgerten Blick nicht verkneifen, den John Smith aber gar nicht wahrzunehmen schien.
Als Igor allmählich wieder zu sich kam und die Augen öffnete, hielt ihm John Smith ein weiteres Glas Wodka hin. »Hier.« Igor saß da und versuchte mit bebender Brust wieder zu Atem zu kommen. Als er so weit war, nahm er das Glas und schüttete den Inhalt hinunter … ahhhhhhh … ahhhhhhh … ahhhhhhh …
»Alles in Ordnung?«, sagte John Smith.
»Ja, schon gut, alles bestens« … sagte Igor … immer noch schwer atmend … »Konnte einfach nichts machen dagegen … Sie sind zu lustig … zu lustig.«
»Wo sind die Bilder jetzt, die, die Sie mit verbundenen Augen gemalt haben?«
Igor lächelte und machte schon den Mund auf, um etwas zu sagen — als das Lächeln wieder erlosch. So betrunken er auch war, plötzlich schien er zu begreifen, dass er sich auf tückischem Terrain bewegte.
»Ohhh, keine Ahnung.« Er zuckte mit den Achseln, als sei das alles nicht so wichtig. »Vielleicht ich sie habe wegge schmissen oder irgendwo liegen gelassen … Ich die mache nur so aus Spaß … Ich sie verschenke — aber wer will schon haben so was? … Oder ich sie
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