Back to Blood

ihn auf YouTube oder in den Nachrichten gesehen hatte … und sich fragte, was ein Polizist, der sich als Mann von der Umwelt ausgegeben hatte, bei ihnen zu suchen gehabt hatte?
    Aber irgendetwas trieb ihn dazu, trotzdem nach Hallandale zu fahren.
    Als er sich wieder an den Tisch setzte, versuchte er sich cool zu geben. Die Zeugin war alles andere als cool. Sie schaute ständig hierhin … und dorthin … und knabberte dabei die ganze Zeit am Knöchel ihres Zeigefingers … zumindest sah es so aus.
    »Magdalena, hör auf, dir immer das Schlimmste auszumalen. Bis jetzt ist doch noch gar nichts passiert … aber wenn du dir wirklich Sorgen machst, warum schlüpfst du nicht für ein paar Tage bei einem Bekannten unter?«
    Nach ihrem Blick zu urteilen, dachte Nestor, wartet sie nur darauf, dass ich sage, »Warum schlüpfst du nicht bei mir unter?« … Er spürte nicht das geringste Verlangen … Er konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie sie sich den Slip herunterzog … Er brauchte keine Zeugin in seiner winzigen Wohnung … Er schaute auf seine Uhr … »Viertel nach sieben«, sagte er. »Ich muss nach Hause. In einer Dreiviertelstunde fängt mein Hausarrest an.«

Nestor dachte allerdings keine Sekunde daran, nach Hause zu fahren. Er stellte nur eine Zeugin ruhig. Tatsächlich fuhr er auf direktem Weg auf die I-95 nach Hallandale.
    Kurz nach acht drosselte er die Geschwindigkeit seines Camaro von hundert auf siebzig Stundenkilometer und fuhr ab jetzt nicht einen schneller — das fehlte ihm noch, dass ihn jetzt eine Streife der Staatspolizei wegen zu schnellen Fahrens anhielte und so sein Verstoß gegen den Hausarrest ans Licht käme. Der Tachozeiger näherte sich schon der sechzig, als er die letzte große Kurve auf dem Hallandale Beach Boulevard nahm —
    — und die Seniorenresidenz Alhambra Lakes vor ihm auftauchte, die jetzt noch ein bisschen mehr in der Hitze des großen Heizstrahlers über Miami glühte … und noch ein bisschen mehr vor sich hin bröckelte … und deren »Balkone« noch ein bisschen mehr durchhingen und Gefahr liefen nachzugeben und auf den Beton darunter zu krachen. Die Anlage war stumm wie ein Grab … Wie 99 plus x Prozent aller Bürger von Südflorida hatte Nestor noch nie ein Grab gesehen … und »stumm« — wie konnte er das wissen? Mit den hochgekurbelten Fenstern und der Klimaanlage, die ächzend eine Brise durch die Luftschlitze presste, drang von außen kein Geräusch ins Innere des Camaro. Nestor nahm einfach an, dass sie stumm war. Wenn er an die Bewohner der Seniorenresidenz Alhambra Lakes dachte, dann — nun ja, dann dachte er nicht direkt an tote Menschen, allerdings waren sie auch nicht das, was er lebendig nennen würde. Sie befanden sich im Fege feuer. So wie Nestor das verstanden hatte, was ihm die Nonnen über das Fegefeuer erzählt hatten, dann war das eine riesige Halle … zu groß, um sie als einfachen Raum zu bezeichnen … wie die riesigen Hallen im Miami Beach Convention Center … und all die seit Kurzem toten Seelen liefen nervös in dieser Halle herum und fragten sich, in welche Region des Lebens nach dem Tod Gott sie … natürlich bis in alle Ewigkeit … schicken würde.
    Wieder stellte er den Wagen in dem Teil des Besucherparkplatzes ab, der dem Highway am nächsten gelegen und vom Haupteingang des Gebäudes am weitesten entfernt war. Er trug schon seine Dunkler-als-dunkel- CVS -Sonnenbrille … zwecks der Eitelkeit, nicht der Tarnung … aber jetzt griff er unter den Fahrersitz und holte seinen weißen Porkpie-Hut aus Plastik mit der breiten Krempe hervor … zwecks der Verkleidung.
    Nachdem er die Klimaanlage ausgeschaltet hatte, dauerte es — wie lange? fünf Sekunden? — bis sich eine erstickende Hitze im Innenraum des Camaro ausbreitete.
    Als er ausstieg … nicht der geringste Hauch frischer Luft … nur lähmende Hitze vom großen Heizstrahler. Seine Klamotten fühlten sich an, als wären sie aus Wolle und Leder, sogar sein Pseudo-Ginganhemd aus Polyester. Er hatte es für das Treffen mit Magdalena ausgesucht, weil es lange Ärmel hatte. Er hatte ihr nicht einen Zentimeter seiner prallen Camacho-Muskeln gönnen wollen. Seine Chinohose hätte genauso gut aus Leder sein können. Sie war am Hintern so eng geschnitten, dass er glaubte, mit jedem Schritt noch ein bisschen mehr Schweiß aus der Leistengegend herauszupressen. Er schaute ein paarmal nach unten, ob man etwas sah. Die Sonne spiegelte sich in den Metallverzierungen der Autos und flutete