Backstage
die Klinik zu Lilli zu begleiten, was aber eher unwahrscheinlich war, da Videoaufnahmen und Probe für das Wohltätigkeitskonzert geplant waren. «Konzert für die Flutopfer?», hatte Paula Melissa gefragt. «Ist der Anlass nicht verjährt und an den Haaren herbeigezogen, nur Geschäft und Reklame für Fußball und Künstler?»
«Es soll für die Spätfolgen, die niemand mehr interessierten, gesammelt werden. Und wer weiß, vielleicht gibt es bald die nächste Flut.»
Paula und Tamara hatten am Straßenrand gehalten. Eine alte Villa, schön renoviert, zwei, drei Geschäfte, eine Baustelle und der Wasserweg, lockend für Freizeitbootsfahrer.
«Dort hab ich Melissa mal mit einem Trio gehört.»
Paula deutete auf eine ungestrichene Villa, auf einem parkähnlichen Grundstück erbaut, direkt am Wasser.
«Bis zur Wende war dort die Stasi, danach wurde es Bürgerhaus, im April 90 war dort die erste Veranstaltung, mit Stefan Heym. Mittlerweile hat sich eine Alteigentümerin gemeldet, eine Freifrau X, die das Haus, soweit ich weiß, weitere Jahre dem Kulturamt zur Nutzung belassen hat. Viele dieser Kulturhäuser, vor allem auf dem Land, sind nach der Wende geschlossen worden.»
«Wir müssen die Regattastraße noch ein Stück weiterfahren, dann rechts.»
Tamara war nicht an DDR-Geschichte interessiert, aus und vorbei, sie hatte keine Verwandten dort und war früher nur mal mit der Schulklasse in Ostberlin gewesen. Sie war heute hier, um Paula zu unterstützen.
Das Wertvolle an Teicherts Besitz war bisher die Lage: Am Rand einer Waldsiedlung, in Laufnähe zum Wasser, wo früher die berühmten Regatten stattfanden, aber auch Überflugschneise zum Flughafen Schönefeld; man gehörte zu den Gegnern des Ausbaus, wie Frau Teichert erwähnte.
Es war tatsächlich ein informelles Dazukommen. Im Wohnzimmer des nach westlichem Maßstab eher bescheidenen Hauses, nach der Wende um ein Zimmer ausgebaut, saßen Freunde um den Tisch, die Teichert vorstellte. Der unerwartet laue, beinahe sommerliche Nachmittag hatte zu dieser spontanen Runde verführt, ungeachtet, was der Morgen brächte, nach einem Gelage mitten in der Woche: Zwei Männer waren arbeitslos, die Frauen allesamt bis auf eine, die nun zwei Stunden zur Arbeit fuhr, einfacher Weg, im Westen, aber «nich dort wohnen», ein Ehepaar war regulär in Rente. Und Teichert.
«Sie können sich vorstellen, wie froh ich bin, dass Kutti Arbeit hat. Ich war früher in der Kultur, aber da geht jetzt nichts mehr, da baute man als Erstes ab. Die Kinder sind aus dem Haus, der Sohn beim Militär, der Garten ist in Ordnung, und wie oft kann man ein von zwei Personen bewohntes Haus, von denen einer dauernd unterwegs ist, schon putzen? Hausfrau? Was soll das denn sein?»
Frau Teichert, eine kleine, rundliche Frau an die fünfzig, zeigte Paula den Garten. Sie wirkte aufgekratzt, trank Wein, wahrscheinlich nicht das erste Glas, schenkte Paula das Mineralwasser ein, um das sie bat.
Tamara kiebitzte bei einer Skatrunde, beobachtete aber die gesamte Szenerie. Die anderen Gäste standen am Grill, der heute Saisoneröffnung hatte; Teichert schwang die Gabel, wendete Würste und Fleisch, hatte die Frauen begrüßt, sich dann wieder seinem Job am Grill zugewandt.
«Was hat Ihr Mann früher gemacht?»
«Er war in der Leitung, in einem Industriebetrieb, werden Sie nicht kennen, VEB Narva, das größte Glühlampenwerk in der DDR, mit über 5000 Werktätigen, wie das damals hieß. Der kannte das ganze Industriegebiet dort wie seine Westentasche, auch das, wo die neuen Häuser gebaut wurden. Wir haben das Gelände damals mit Bankkredit von der Treuhand übernommen.»
«Und wie lernten Sie Panitz kennen?»
«Ist das nicht schrecklich, dieser Mord? Auch, wenn es blöde klingt, so zwischen Skat und Würsten. Deshalb hab ich auch die Leute zusammengetrommelt, um Kutti aufzumuntern, er nimmt es schwer, auch wenn er es nicht so zeigen kann. Panitz war unser Dolmetscher damals, für den Westen, Gesetze und Formulare und was wir so nicht kannten.»
«Und wie haben Sie sich kennen gelernt?»
«Ich hab schon gehört, dass Sie nicht locker lassen. Na, heute kann man's ja erzählen. Bei der Währungsumstellung.»
«Seid ihr mit Getränken versorgt?»
Teichert übergab das Grillbesteck und kam zu den Frauen. «Das seh ich erst jetzt. Sie haben einen Verband? Was ist passiert?»
«Das ist eine lange Geschichte. Nur ein einfacher Bruch. Ihre Frau wollte mir gerade eine Geschichte zu Ende
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