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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Klage also. Doch sie schaute dabei durch mich hindurch.
    Manchmal, wenn ich versuchte, auf dem Sand oder den Steinen eine Position einzunehmen, in der ich ohne Schmerzen auf dem Badetuch ein Buch lesen konnte, während sich Isabel jauchzend gegen die Brecher warf, als könnte sie ihren Körper der Zeit entgegenstemmen und sie endlich aufhalten, träumte ich mich weit weg. Ich sah mich auf einer Couch in einer meerfernen Großstadt. Draußen vor dem Fenster brennt der Asphalt. Ein Herr sitzt am Kopfende, tadellos gekleidet, kardinalrote Krawatte. »Eifersucht auf den Ozean selbst, Herr Valentin«, sagt er, »ist weniger ungewöhnlich, als Sie glauben. Denken Sie nur an die Griechen.« Er seufzt, er zündet sich eine Zigarre an, er schaut mit gemeinen kleinen Äuglein an mir vorbei, hinaus auf die immer brennenden Schlote einer verfluchten Stadtlandschaft.
    Nur ein einziges Mal fühlte ich mich mit ihr am Meer nicht allein: auf den Azoren, im vierzehnten Jahr unserer Ehe, dem Jahr, in dem ich alle meine Zweifel an uns feierlich im Eisenbad versenkt hatte, um endlich abzuheben mit meinem Engel, der Benjamin nicht leiden konnte, das Prinzip der Geschichte verabscheute und niemals sterben wollte.
    Ein Jahr später war Kreta.
     
    Nachdem Isabel aufgelegt hatte, kam ich endlich an meinen Cognac. Man muss sich festhalten an kleinen Siegen, und ich hielt mich an meinem Cognac fest, so lang ich konnte.
    In der folgenden Nacht spukten die Küsten von São Miguel durch meine Träume. Isabel und ich tauchten durch das überirdische Grün des Lagoa do Fogo, schwebten über den Fumarolen von Furnas, nach Schwefel stinkend, Hortensien hinter den Ohren, die Backen verschmiert vom Fett des Cozido, und schlugen uns unsere Schneidezähne gegenseitig in die Hälse, besoffen vom Pakt des Nicht-enden-Wollens, bis es rot regnete auf die Küste von Ponta Delgada.
    Hoch oben auf dem Vista do Rei, zwischen dem Lagoa Azul und dem Lagoa Verde, saß mein Vater in einem wachsgelben Anzug, inhalierte seine angezündeten Schläuche in tiefen Lungenzügen und schrie dem schönen falschen Paar ein »Carpe diem!« entgegen.
    Am nächsten Mittag wachte ich anders auf als in den vergangenen Monaten. Mein Geist war rebellisch und ich hegte frische Gedanken. Obwohl ich die Außenwelt immer noch fürchtete, die Menschen ebenso wie das Tageslicht, fasste ich, fahl im Gesicht und flau im Magen, den Entschluss, die Wohnung endlich zu verlassen. Ich kam mir vor wie ein Untoter, den der Geruch des Blutes aus seiner Grabkammer treibt.

 
    Sechs
     
    So tauchte ich also, ausgerechnet Mitte Dezember, unangemeldet im Maldoror auf. Maia rutschte ein Buch von dem Stapel mit Bildbänden, den sie gerade zur Verkaufstheke schleppen wollte. Der Laden war voll hektischer Kunden mit Schneematsch auf den Mantelkrägen. Vor dem Schaufenster sackten die nassen Flocken zu Boden, die dahinrasenden Autos auf der Margaretenstraße bespritzten die Passanten, die bei ihren Ausweichmanövern gelegentlich ineinanderkrachten. Man sah ihre Lippen Flüche formen, Regenschirme wurden von Schutzschildern zu Angriffswaffen, hin und wieder landete ein stilvoll verpacktes Geschenk im Dreck.
    »Arthur«, sagte Maia im ersten Schreck, »was zum Teufel machst du hier?«
    »Ich bin wieder da«, sagte ich schüchtern.
    »Schön«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf das Buch, das ihr zu Boden gefallen war. »Dann mach dich gleich nützlich.«
    Folgsam hob ich den Band auf. Krippendarstellungen aus zwei Jahrtausenden las ich, rümpfte die Nase und legte das Buch mit zwei Fingern auf den Stapel zurück.
     
    Maia teilte meine Abneigung gegen die alljährlich ausbrechende Weihnachtsepidemie, aber sie konnte besser rechnen als ich. Also führten wir in der Adventszeit Titel im Sortiment, für die wir uns während der restlichen Zeit des Jahres schämen würden. Manchmal, wenn Maia schon Mitte November begann, unser Schaufenster mit Beschaulichkeitskitsch vollzuräumen, verfluchte ich ihre Geschäftstüchtigkeit. Ich sah das Antiquariat vor mir, wie es ohne Maia aussehen würde: eine leuchtende Bastion der Kunst und des Geistes, uneinnehmbar vom bleichen Banausentum der Massen. Der Burgherr war ein Ritter alten Schlages, verwegen den Anfechtungen des Zeitgeistes die Stirn bietend, in die eigene Geschmackssicherheit getaucht wie in Drachenblut, umstrahlt von einer Aura der Unbestechlichkeit. Aber zweifellos bankrott.
     
    Maia deponierte ihren Bücherstapel auf einem Stuhl, wischte sich die Hände

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