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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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an der Hose ab, umarmte mich und sagte: »Willkommen zurück unter den Lebenden.«
    »Nosferatu«, sagte ich und wurde ein wenig steif in der ungewohnten Umarmung.
    »Was?«
    »Ach, vergiss es.«
    Maia komplimentierte die Kunden aus dem Laden, sie musste nicht viel dafür tun, man kannte sie hier, ihre Gesten waren die einer Königin, eine Handbewegung reichte, und das Geschäft war leer. Das Schild »GESCHLOSSEN« hing schon vor der Tür, bevor ich in der Küche war und mich setzen konnte.
    »Wie geht es dir?«, fragte Maia, als hätte niemals jemand zuvor diese Frage gestellt.
    »Ich vermisse sie«, sagte ich.
    »Klar«, sagte Maia.

 
    II
    Zwei Begegnungen
    Jänner – April 2004

 
    Eins
     
    Warum es mich an diesem eiskalten Jännernachmittag ins Kunsthistorische Museum verschlagen hatte, weiß ich heute nicht mehr. Ich glaube nicht, dass es die Wärme der Ausstellungsräume war, die ich suchte. Den Entschluss, mir aufmerksam und systematisch die Francis-Bacon-Ausstellung anzusehen, hatte ich jedenfalls auch nicht gefasst. Ich kannte die Bilder Bacons gerade so gut, wie es für meine Arbeit erforderlich war. Nicht besonders gut also. Für die Kunstkunden war Maia zuständig.
    Der Schmerz steckte mir im Rücken, die Aufziehschraube einer mechanischen Puppe, und trieb mich ziellos voran.
    Ich buchte eine Führung auf Spanisch; es war beruhigend, nichts zu verstehen. Am Rand meines Gesichtsfeldes trieb es die riesigen Bilder vorbei, zwei Meter hoch, links und rechts, violette Päpste vor goldenen Bettgestängen, ringende Männerkörper auf gestreiften Matratzen, ausgeweidete Tierkadaver. Statt stehenzubleiben und mich der Betrachtung hinzugeben, folgte ich dem spanischen Grüppchen und unterzog das Schuhwerk der vor mir laufenden Frau einer eingehenden Prüfung. Grüne Pumps, weiches Leder, ein ideales Geschenk für Isabel. Um sie zu kriegen, müsste ich allerdings –
    Mit einem Ruck blieb ich stehen. Da war was. Ich drehte mich nach links zur Wand.
    Ein Mensch war da, dreimal nebeneinander. Auf der ersten Tafel zusammengesackt auf einer Toilette. Flankiert von zwei Türstöcken, schmutziges Rotbraun. Der Rücken des Menschen schimmerte in Weiß und Blau, Leichenfarbe, unverkennbar. An seinem Schädel klebte ein blutiges Ohr. Und dahinter eine Schwärze, umfassend und endgültig, eine flüssige Schwärze, die nach vorne auf einen grünen Fußboden quoll.
    Auf der mittleren Tafel wurde die Schwärze von einer nackten Glühbirne durchbrochen, aber nicht erhellt. Der Mensch hatte sein Gesicht erhoben, man sah es jetzt im Profil. Der Kopf war wie mit einem Hammer in den Rumpf gedroschen, verstümmelte Ärmchen ragten aus dem Hals, aus dem Brustkorb wollte etwas nach draußen, ein gebogener Knochen; die Seele, fiel mir ein, was denn sonst, die Seele ist ein verbogener Knochen über dem Herzen, sie will heraus. Die Lippen waren aufgerissen, vom Kinn tropfte Speichel, und aus Nase und Wangen brach ein Rot hervor, ein helles, gespenstisches Rot.
    Timanfaya. Isabel und ich auf dem Rücken eines Kamels, links und rechts an den Flanken des Tieres in zwei Kindersitze gepfercht, vergnügt und ein bisschen lächerlich. Die Treiber mussten einen Sandsack auf Isabels Seite an das Traggestell hängen, sonst wäre das arme Tier auf meine Seite gekippt. Montañas del Fuego. Ausgerechnet Lanzarote. Hundert Kamele in einer Reihe, zweihundert Menschen draufgepackt. »Hier hätten sie Dune drehen sollen«, sagte Isabel, die Expertin, »alles absperren, raus mit Leuten wie uns, und dann los.« Sie lachte über ihren eigenen Witz; niemandem sonst, den ich kannte, gelang das so entwaffnend wie ihr. Vulkanstaub, aufgewirbelt von den Hufen der Tiere, rieselte uns in die Krägen. Der Boden schwankte, als unser Kamel sich in Bewegung setzte. »Spürst du«, fragte ich, »schon die Nähe des großen Sandwurms?« Ich lachte nicht, ich konnte das nicht so gut. »Banause«, sagte Isabel, ließ ihren Arm über den Höcker hinwegfliegen, bettete ihren Ellbogen ins wollige Fett und griff sich meine Hand.
    Über den Kratern von Timanfaya lag dieses Licht. Bergrücken, die von innen leuchteten, ein helles Rot, fast gespenstisch.
    Ich musste mich setzen. Hinter mir trieb eine Lehrerin ihre Schulklasse vorbei, sie war wohl froh, wenn diese Geisterbahnfahrt zu Ende war. Vor mir war immer noch dieser Mensch. Zwischen seinem abgehackten Rumpf und seinem Schatten ragte ein Gegenstand aus dem Rahmen der Badezimmertür. Ein Abflussrohr? Eine Vorrichtung zur

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