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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Wissen nützt mir gar nichts. Ich muss die Bilder sehen.«
    »Wenn ich dich richtig verstehe, redest du jetzt nicht von Reproduktionen?«
    »Nein. Ich rede von den echten Gemälden.«
    »Und was hast du jetzt vor?«
    »Ich werde ihnen nachreisen.«
    »Was?«
    »Die Ausstellung befindet sich momentan in Basel, in der Fondation Beyeler. Dorthin werde ich fahren. Und eine Zeitlang bleiben.«
    Durruti flitzte durch die Wohnung, einer Fliege hinterher.
    »Um ehrlich zu sein«, sagte Maia, »finde ich das keine gute Idee.«
    »Nicht? Ich dachte, du verstehst mich. All die Bücher, die du mir gegeben hast, dein Nachruf …«
    Maia seufzte und legte ihre Hand sanft auf meine Schulter.
    »Arthur, denk doch einmal nach. Erst hast du dich monatelang in deinem Kummer vergraben, und jetzt flüchtest du schon wieder. Du hast das gesamte Erbe deines Vaters in dieses Antiquariat gesteckt. Und nun scheinst du jegliches Interesse daran verloren zu haben. Das ist doch schade.«
    Ich wich ihrem Blick aus, nahm ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche und knüllte es zusammen. Fertig war die Maus für Durruti. Ich warf sie ihm hin, und er vergaß sofort die Fliege.
    »Mein Vater wäre enttäuscht, meinst du das?«
    »Nicht nur dein Vater«, sagte Maia.
    »Vielleicht hast du recht«, sagte ich.
     
    Wir gingen in die Küche und setzten uns an den Esstisch. Maia hatte schon aufgedeckt. An den Wänden hingen schlicht gerahmte Fotos von Almen, Bächen und Bergseen. Wolkenschatten zogen über grüne Hänge, im blau-türkis schimmernden Wasser spiegelten sich Felsformationen. Über einer Hügelkette hing der Mond, bleich und angeschlagen, in dünnen grauen Wolkenseilen.
    »Schöne Gegend«, sagte ich.
    »Lungau«, sagte Maia. Sie griff sich einen Topfhandschuh und zog die Lasagne aus dem Ofen. »Da komm ich her.«
     
    Wir aßen andächtig; ich schickte hin und wieder Blicke zum Himmel.
    »Ich bin vor kurzem einem Engel begegnet«, sagte ich.
    »Ach. Was hat er gesagt?«
    »Seien Sie dankbar«, sagte ich.
    Maia lachte. Sie holte eine Flasche Chianti aus einem Regal und ließ sie vor meiner Nase tanzen. Das Etikett war verführerisch.
    »Möchtest du den probieren?«
    »Eigentlich schon«, sagte ich.
    »Aber nur unter einer Bedingung«, sagte Maia. »Du versprichst mir jetzt, dass du wieder vernünftig wirst.«
    »Na ja«, sagte ich.
    »Und dass du weiterarbeitest. Statt Phantomen hinterherzurennen.«
    »Na gut«, sagte ich.
    »Keine sinnlosen Reisen?«
    »In Ordnung.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen.«

 
    Elf
     
    Die Fondation Beyeler lag im herausgeputzten Vorort Riehen. Die Stützpfeiler des Daches standen in einem grün leuchtenden Tümpel voller Seerosen, Hunderte Wasserläufer flitzten über die Oberfläche, unsichtbare Frösche quakten. Libellen schwirrten herum, das Blau ihrer Körper erinnerte mich an das Blau des Baldachins über Isabel Rawsthorne in den Straßen von Soho, ein Bild, das ich in Kürze wiedersehen würde.
    Dann war da noch ein Geräusch. Glocken, echte Schweizer Kuhglocken. Hinter dem Museum, auf einer Weide vor einem Bauernhaus, tummelten sich tatsächlich Kühe.
    Das war eindeutigzu viel Natur für das Ambiente einer Bacon-Ausstellung. Er mochte die Natur nicht besonders, und das Landleben war ihm ein Greuel. »Die Grässlichkeit des Alltags«, sagte er, »kann man nirgends so deutlich sehen wie in einem Dorf.« Nur ein einziges Mal hatte er sich außerhalb einer Großstadt einquartiert, 1942 auf Bedal Lodges in Steep bei Petersfield in Hampshire. Lange hatte er es dort nicht ausgehalten; er berichtete später voller Abscheu über die ländlichen Tagesanbrüche und das »komische Entsetzen, neben all diesen Dingern aufzuwachen, die vor dem Fenster singen«.
    Beim Einlass warf die strenge Dame von der Fondation einen empörten Blick auf meine Umhängetasche. »Damit dürfen Sie hier nicht herein«, sagte sie in einem Ton, als hätte ich versucht, eine Handgranate an ihr vorbeizuschmuggeln.
    »Keine Sorge«, sagte ich und überreichte ihr das beanstandete Objekt, »für das, was ich mitgehen lassen will, ist die Tasche viel zu klein.« Sie fand das gar nicht komisch, aber ihr Blick verriet mir, dass sie mich eher für einen Verrückten als für ein Sicherheitsrisiko hielt.
    Im Vorraum Fotos von Perry Ogden: Bacons Atelier – und die Wohnung. Die knietiefe Müllschicht des Ateliers kannte ich schon; die penible Sauberkeit von Küche, Wohn- und Schlafzimmer bildete dazu einen erwartbaren Kontrast. Über dem

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