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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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anbahnenden Triumphes seines Freundes wurde George kleiner und kleiner. Fühlte sich wertlos, abgelehnt, zurückgestoßen. Stürzte sich wieder in Alkoholexzesse. Während Bacon hofiert und umworben wurde, war Dyer in Paris verloren. Er kannte niemanden, und sein Französisch war bestenfalls rudimentär.
    Bacon holte John Deakin, seinen Freund und Fotografen, nach Paris, damit er auf George aufpasste. Doch Deakin war wenig geeignet für die Gouvernantenrolle. Er kümmerte sich mehr um seine eigenen Pariser Freunde als um Dyer. Und Deakin war kein Mann, der Trinkgelage verabscheute.
    Am Vorabend der Ausstellungseröffnung trat der Hoteldirektor an Bacon heran und sagte: »Ich muss Ihnen etwas Schreckliches berichten. Ihr Freund hat Selbstmord begangen.«
    Dyer hatte ein tödliches Gemisch aus Tabletten und Alkohol zu sich genommen. Als es zu wirken begann, hatte er versucht, sich über dem Waschbecken zu erbrechen. Aber es war zu spät. Die Hotelangestellten fanden ihn zusammengesackt auf der Toilette.
    Am Tag danach schritt der Staatspräsident über den roten Teppich die Stufen hoch zum Eingang des Grand Palais, wo ihn der Künstler in Empfang nahm, um ihn durch die Ausstellung zu führen. Auch das anschließende Bankett im Train Bleu ließ Bacon trotz der Bedenken von Leiris nicht platzen und absolvierte es gefasst und souverän. Inmitten seiner Bewunderer dozierte und plauderte er, als wäre nichts geschehen.
    Die Retrospektive wurde ein Sensationserfolg. Paris war außer sich. Im hehren Ambiente des Grand Palais hatte sich die geschundene Kreatur eingenistet, in vielfältiger Gestalt; hinter Glas und in pompösen Goldrahmen lauerte das Grauen der menschlichen Existenz. »Es ist wie ein Schlag ins Gesicht«, kommentierte der Kritiker von Le Monde .
    Die Trauer kam langsam, aber machtvoll, fraß sich durch die äußeren Schichten des Gemüts stetig nach innen, wurde zum Trauma. Eine schwarze Sonne, um die alle Gedanken kreisten. »Es vergeht natürlich keine Stunde, in der ich nicht an George denke«, sagte Bacon im Frühsommer 1972 zu Peppiatt. »Ich fühle mich entsetzlich schuldig an seinem Tod. Wenn ich bei ihm geblieben wäre, statt mich um die Ausstellung zu kümmern, dann wäre er noch am Leben. Aber ich bin nicht geblieben, und er ist tot.«
    Wenige Monate später kroch das Entsetzen aus ihm heraus. Er packte es, zerquetschte es mit seinem Pinsel auf der Leinwand und nannte es Triptych – August 1972 .

 
    Neun
     
    In einem seiner Interviews mit David Sylvester erzählt Bacon über den Abschluss der Arbeit an May  – June 1973 – und über die weiße Pfeife. »Meine Idealvorstellung wäre, dass ich, wenn ich mich an einem Porträt versuche, einfach eine Handvoll Farbe nehme und sie auf die Leinwand schleudere, in der Hoffnung, dass dann das Porträt da ist.«
    Sylvester: »Aber Sie würden nie ernsthaft ein Bild so beenden, oder?«
    Bacon: »Oh doch. In dem neulich entstandenen Triptychon erscheint auf der Schulter des Mannes, der sich in ein Waschbecken erbricht, so ein Peitschenhieb aus weißer Farbe, das geht in diese Richtung. Ich habe das im allerletzten Moment gemacht und einfach stehen lassen. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, aber für mich hat es richtig ausgesehen.«
    Sylvester: »Wenn es nicht richtig ausgesehen hätte, hätten Sie es dann mit einem Messer entfernen können?«
    Bacon: »Schon. Da der Hintergrund eine ganz dünn aufgetragene Mischung aus Preußischblau und Schwarz ist, hätte ich das Messer nehmen können. Ich hätte ihn dann abschrubben müssen, diesen Hintergrund, und die Farbe neu auftragen, weil ich sie ganz dünn haben wollte; ich hätte es versuchen müssen und dann sehen.«

 
    Zehn
     
    »Hör sofort auf damit, Durruti«, rief Maia, »sonst gibt’s heut kein Abendessen!«
    Durruti zeigte sich wenig beeindruckt und benützte weiter mein Hosenbein als Kratzbaum. Maia schnappte sich den feuerroten kleinen Kater, zerrte ihn von meiner Hose weg und schubste ihn in die Küche.
    »Er ist noch jung«, sagte sie.
    Maia bewohnte zwei Mansardenzimmer in der Girardigasse, mit schönem Blick auf den Alfred-Grünwald-Park. Sie hatte ihre berühmte Lasagne im Ofen, wir saßen auf einem roten, von Kratzspuren übersäten Ledersofa und tranken Sherry. Maia hatte ihre schwarzen, fast violetten Haare mit einem Tuch zurückgebunden. Ihr Lippenstift war von der gleichen Brombeerfarbe wie das Rhombenmuster auf ihrer Strumpfhose.
    »Du hast recht gehabt, Maia«, sagte ich. »Das

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