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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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spermafarbenem Arm. Die Lust ist stärker als der Tod, genau, nur leider war einer der beiden Liebenden schon tot, nicht nur in der Wirklichkeit, er war auch auf der Leinwand schon tot, und so wurde da eine Leiche gevögelt, als könnte der Akt der Liebe, wenn er nur verzweifelt genug war, das Aas zurückzwingen ins Leben. Die Fledermaus entschlüpfte der Umklammerung des Armes und stieg nach oben, triumphierend.
    Es war vorbei. Und begann aufs Neue.
    Das Glas über der Schwärze wirkte wie ein Spiegel, und plötzlich sah ich mich selbst, mit halboffenem Mund inmitten dieser Verwüstung, und ich erschrak so sehr, dass ich zurückzuckte vor dem Bild, als bestünde Gefahr, von ihm verschlungen zu werden.
    Bring dich in Sicherheit, sagte das Bild, verlier keine Zeit, bring dich vor dir selbst in Sicherheit.
    »Ist Ihnen nicht gut«, fragte der Wächter der Sammlung.
    »Mir schon«, sagte ich tapfer, zusammengekauert auf meiner Besuchercouch. Neben mir hatte sich eine filigrane Japanerin gerade auf ihre Schuhspitzen erbrochen.

 
    Zwölf
     
    Abends saß ich in meinem Hotelzimmer und versuchte die Dinge zu ordnen.
    Schaltete den Fernseher ein, zappte auf Eurosport, riss die Plastikfolie der Erdnusspackung aus der Minibar auf und legte Papier und Bleistift vor mich auf den Couchtisch. Normalerweise konnte ich klarer denken, wenn ich abgelenkt war.
    Sah kanadischen und schwedischen Damen beim Curling zu, schrieb Listen mit den Gründen, aus denen Isabel mich verlassen haben könnte, zerknüllte sie und warf sie mit der Bewegung eines Basketballers beim Freiwurf quer durchs Zimmer in den Papierkorb.
    Ich ging ins Badezimmer und betrachtete misstrauisch mein Gesicht im Spiegel. Die Tränensäcke waren schwerer geworden, graue Büschel wuchsen auf meinem Kopf; die tiefen Falten verhießen nichts Gutes. Jeden Tag sehe ich im Spiegel dem Tod bei der Arbeit zu : eines der Lieblingszitate Bacons. Von Cocteau. Ich riss mich von dem Anblick los und setzte mich auf den Rand der Badewanne. In meinem rechten Knie machten sich Abnutzungserscheinungen bemerkbar; der Rücken und die Schultern schmerzten, das Kreuz sandte stichflammenartige Signale ans Gehirn.
    Das Besondere am Älterwerden ist, dass es sich auf so unverschämte Weise der Dialektik entzieht. Alles wird schlechter, und basta.
    Diese Einsicht half mir aber auch nicht weiter.
    Schließlich erinnerte ich mich an ein Spiel, das mir als Kind die Zeit vertrieben hatte, wenn ich wieder einmal zu Hausarrest verdonnert worden war. Ich legte mich also rücklings aufs Bett, starrte nach oben und spielte Zimmerdeckenkino.
    Es funktionierte. Die Decke begann zu flimmern, rasch formten sich die ersten Bilder. Zuerst sah ich Isabel Rawsthorne, standing in a Street in Soho , beinah ebenso klar wie am Nachmittag in der Fondation. Neue Details fielen mir auf. Dicke weiße Farbspritzer, die sich an ihre Hüfte schmiegten. Es könnte auch eine Plastikklammer sein, die im Stoff ihres Kleides klemmte. Vom unteren Bildrand quoll eine türkise Flüssigkeit vom blauen Rondeau auf Isabels Schuh. Fiel der Blick darauf, so verschob sich die Perspektive: Die Arena, in der Isabel stand, lag tiefer als das sie umgebende Blau, das damit plötzlich zur Zuschauertribüne geriet. Einen Moment lang sah es so aus, als würde sie aus dem Bild steigen.
    Es musste aufregend sein, mit Isabel Rawsthorne zu plaudern. Ich stellte mir vor, wie sie neben mir auf der Bettkante saß und erzählte. Von Giacometti, der sie vergöttert hatte. Von Picasso im Lipp . Lange hatte er sie vom Nebentisch aus angestarrt, dann war er aufgesprungen und hatte zu Giacometti gesagt: »Jetzt weiß ich, wie es geht.« Er rannte in sein Atelier und malte ihr Porträt. Isabel lachte und warf den Kopf zurück; aus ihrem Mund sprudelten Geschichten. Von Sir Edouardo Paolozzi, der ihr in Paris in den späten Vierzigerjahren das Skelett einer Fledermaus geschenkt hatte, das sie bis zu ihrem Tod als Talisman bei sich getragen hatte. Von den Komponisten Constant Lambert und Alan Rawsthorne, die sich nicht einigen konnten, wer sie zuerst heiraten durfte, und eine Münze warfen. Lambert gewann. Nach seinem frühen Tod wurde sie Rawsthornes Frau.
    Ich wollte etwas über ihre eigenen Arbeiten hören. Porträts von Alan. Blicke aus dem Fenster. Am Ende immer mehr Vögel. Hände, die Vogelskelette hielten.
    »Mein Vater«, sagte Isabel, »war Kapitän eines Handelsschiffs und brachte mir von seinen Reisen immer Tiere mit.«
    »Papageien?«, fragte

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