Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
kleinen Welt.
    Aquarelle in der Küche zeigten Badende in einem Fluss, eine Frau mit zu vielen Händen, betende Menschen vor einem Tempel. Über dem winzigen Bett, o Gott, meinem Bett, hing ein blaugoldenes Madonnenbildnis neben einem kleinen Kruzifix. Ich fühlte mich wie auf einem Ökumene-Treffen in einem indischen Bahnhofsrestaurant, eher Zwickau oder St. Pölten als Bombay.
    Im Küchenregal entdeckte ich eine Tasse mit einem goldenen Elefanten als Henkel, packte das Vieh am Rüssel und stellte es auf den Couchtisch. Schon hatte ich meinen Aschenbecher.
    Zusammengekauert auf der Couch, träumte ich mich in eine ferne Zukunft, in der jeder Mensch über sein persönliches Teleportationsgerät verfügen würde. Man zog das Ding aus der Hosentasche, klappte es auf und sagte zum Beispiel: »Ich will nach Hause!« Ein kurzer Blitz, ein knisterndes elektrisches Gefühl, das den Körper durchprickelte, und zack! saß man schon wieder vor dem eigenen Fernseher.
    Nach Hause wollte ich andererseits ja auch nicht. Nicht, solange Isabel nicht wieder zurück war. »Zu dir will ich«, sagte ich zu meiner Reisetasche (Isabels Bild war noch nicht ausgepackt – wo sollte ich es hier auch hinstellen?). Aber ich konnte nicht zu ihr. Ich wusste es. Mein Realitätssinn war noch da. Ich fand ihn nur zuweilen nicht. Ich musste darüber hinwegkommen , so hieß das doch. Das Kapitel abschließen , auch hübsch. Mein Favorit war und blieb jedoch Trauerarbeit leisten .
    Also leistete ich Trauerarbeit, erhob mich ächzend, nahm eines der Handtücher aus meiner Tasche und benutzte es als Putzlappen. Rutschte auf allen vieren durch das versiffte Gelände und dachte mir unbarmherzige Racheaktionen für Maia aus. Ich hoffte, dass das meinem Karma nicht allzu sehr schadete. Man weiß ja nie, ob nicht was dran ist an den metaphysischen Gruselgeschichten, und wer wird schon gerne als Küchenschabe wiedergeboren?
    Nach der erledigten Säuberungsgroßtat musste ich an Herakles und Augias denken. Kurz schwoll mir die Brust, gleich schämte ich mich dafür. Aber für einen Augenblick hatte ich den Phantomschmerz im Herzmuskel nicht gespürt.
    Wischte mit einem frischen Tuch nochmal die Tischfläche ab, kramte das Foto aus der Reisetasche und stellte es neben die Elefantentasse.
    Passend, fand ich. Elefanten, Erinnerung, et cetera.
    »Siehst du«, sagte ich zu Isabel. »Ich vergesse dich allmählich. Ich komme voran.«

 
    Vierzehn
     
    Abends kam die Nachbarin auf Besuch, setzte sich neben mich, starrte auf den frisch aufgeschnittenen Serrano-Schinken und sagte voll Ekel: »Dieser Haushalt ist vegan.« »Den Schinken esse ja nur ich«, erwiderte ich und stellte den Teller neben mich. Als mein ungebetener Gast aber auch noch Isabels Schönheit kommentierte und dabei den Stellrahmen des Bildes anfasste, war meine Scheu rasch verflogen. Ich bot ihr an, als bescheidenen Willkommensgruß zwei Steaks in die Pfanne zu werfen. »Man darf sie nur kurz anbraten«, sagte ich, »damit sie innen schön blutig bleiben.« Dabei grinste ich so diabolisch, wie ich nur konnte. Es wirkte. Die Invasorin erzählte noch ein bisschen von Bernadettes Allergiesymptomen, hielt sich zunehmend verzweifelt am Tischrand fest, dann wurde sie vom Antrieb meiner Rettungsfähre von Bord geblasen, hinaus in den finsteren Schöneberger Weltraum.
    Ich entnahm dem Notversorgungsfach meiner Reisetasche einen Saint-Émilion Grand Cru, öffnete ihn mit schwungvoller Geste und fühlte mich ein wenig wie ein Überlebender der Nostromo .
    »Cheerio, Ripley«, sagte ich, »gemeinsam haben wir es wieder einmal geschafft.« Rasch war die Flasche geleert; ich sank zur Seite und schlief sofort ein, mit dem Gesicht auf dem Serrano-Schinken.

 
    Fünfzehn
     
    Berlin trieb mich vor sich her, eine riesige Straßenkehrerin mit Glitzeruniform, vor ihrem breiten Besen schrumpfte ich zu einem Tschickstummel, zu einer Kippe, wie man hier sagt, ratsch! wurde ich einfach vom Gehsteig gefegt, aus dem Weg, Fremder, hier kommt Berlin und muss durch!
    Ich flüchtete in die U-Bahn, wider besseres Wissen. Kein Ort für Kontaktscheue, auch nicht für Leute mit Hang zur Klaustrophobie. Natürlich verirrte ich mich. Stieg ein, stieg aus, stieg wieder um; stieß, versunken in meinen S- und U-Bahn-Plan, den ich ohne Lesebrille nicht entziffern konnte, Passanten vor Kopf und Bauch, entschuldigte mich unentwegt und kam nicht voran. Brauchte eine Stunde, ehe ich endlich am Potsdamer Platz wieder ans Tageslicht kam. Dann

Weitere Kostenlose Bücher