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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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muss, wo Überirdisches Mr. Bacon zufolge eben hingehört: in den Aschenbecher.
    Durch die Beweglichkeit und Unzerreißbarkeit von Isabel3, den Glanz der schwelgenden Königin Isabel2 und den Untoten in der Kuhle des Halses von Isabel1 wird die Todesdrohung des Bildes ironisch aufgehoben. Du bist ein Kind, das nicht sterben will, Isabel, hörte ich den Maler plötzlich sagen, du bist die glitzernde Prinzessin von Soho, die die Finsternis bezwingt – und der Vampir in dir kann nicht einmal mit dem Nagel, den ich ihm durchs Herz gejagt habe, erledigt werden. Von mir aus sollst du auch eine Seele haben, wenn dir dann leichter ist. Hier, bitte, ein Strich, hortensienblau, und du hast sie. Für diesen Augenblick. Aber hör endlich auf zu rauchen, Darling, das bringt dich noch um. Rauchen ist strengstens untersagt.
    Die Stimme, die den letzten Satz aussprach, klang allerdings verdächtig weiblich. Auch der Druck auf meiner Schulter fühlte sich nicht an wie ein ätherischer Hauch aus dem Jenseits.
    Eher wie ein Zugriff.
    Ich drehte mich um, und da war sie wieder, meine Pferdeschwanzschönheit in der Museumsuniform. Sie sah mich an, offensichtlich wartete sie auf eine Reaktion. Ich versuchte ein Lächeln, doch meine Gesichtsmuskeln gehorchten mir nicht. »Rauchen ist strengstens untersagt«, wiederholte sie, und ich fand endlich in die Wirklichkeit zurück, klopfte die Asche folgsam in den Handteller, überreichte der Wärterin den Rest des glimmenden Corpus Delicti und verließ, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, immer meine linke Hand im Visier, um die Asche nicht zu verstreuen, Isabel Rawsthornes Reich.
     
    Draußen war wieder Berlin, und es mochte mich noch immer nicht.
    Allein der Gedanke, wieder in den Orkus hinabsteigen zu müssen und in einer der rasenden Röhren durchgeschüttelt zu werden, hilflos an einem Haltegriff hängend, beunruhigte mich. Ein Zitteraal kroch meine Wirbelsäule hoch, biss sich im Genick fest; ich zuckte, zog die Schultern hoch und begann zu schwitzen.
    Ich beschloss, in der Oberwelt zu bleiben, und schlenderte zur Kalmierung der überreizten Nerven die Potsdamer Straße entlang. Keine gute Idee. Mehrspurige Straßen sind kein Erholungsgebiet für ängstliche Fußgänger. Einem vorbeidonnernden Bus konnte ich mit beherztem Sprung entkommen; der Rückspiegel hätte mich sonst am Kopf getroffen. Es war knapp, aber ich war gerettet. Dafür schmerzte mich jetzt der Knöchel des linken Fußes. Und das linke Knie. Nein, beide Knie. Der Mann, den ich bei meinem Ausweichmanöver niedergerissen hatte, beschimpfte mich, aber freundlich. Ich entschuldigte mich vorwurfsvoll, klopfte mir den Straßendreck von der Hose und humpelte in eine Seitenstraße. Auf dem Marlene-Dietrich-Platz sah ich einen Heißluftballon über einem Betonquader schweben. Halb hing er fest, halb stieg er hoch. Erleben Sie Berlin aus der Luft , raunte mir ein Schriftband zu. Eine Möglichkeit, keine Frage.
    Ich nahm aber dann doch ein Taxi heim ins Bombay Palace und weinte ein bisschen in die fremdverschwitzten Kissen, am Fuße der Kreuzigung.
     
    Ich fing mich erst wieder, als der Hunger kam. Hatte vergessen, mir neue Vorräte zu besorgen. Ich musste es wagen und den Kühlschrank öffnen. Pirschte mich heran ans gefährliche Gelände, schon lag der Griff fest in meiner Hand, aber dann zögerte ich. Ich sah Schimmelpilzkolonien, die aus urzeitlichen Joghurtbechern krochen, grünlich-schwarze Koteletts mit wimmelnden weißen Punkten. Erinnerte mich an eine Installation von Damien Hirst, die mir Maia einmal gezeigt hatte. Mit Maden, Fliegen, einem verwesenden Kuhschädel und einem Insektengriller. A Thousand Years . Schöner Titel.
    So. Luft anhalten, Augen zu, Tür öffnen, Augen auf.
    Der Kühlschrank war leer. Ausgeräumt und blankgewischt. Selten noch hatte mich ein leerer Kühlschrank so besänftigt.
    Zuerst überlegte ich, mir eine Pizza bringen zu lassen. Doch dann fiel mir die dringliche Mahnung ein, die mir Maia mit auf die Reise gegeben hatte: »Vergiss auf gar keinen Fall, in den Storch zu gehen!« Nun gut. Ich sah mich in der Wohnung um und überlegte, wie viel Vertrauen ich Maias Empfehlungen noch entgegenbringen konnte. Meine Neugierde siegte; also verprasste ich weiter mein Erbe, rief mir ein Taxi und fuhr in die Wartburgstraße.
    Die Wirtsstube gefiel mir. Alte Holzvertäfelungen, Tische, auf denen man sich ausbreiten konnte. Ich bestellte ein großes Jever und Elsässer Flammkuchen, die Spezialität des

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