Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Hauses. Der Wirt brachte das Bier und setzte sich zu mir.
»Wie gefällt Ihnen Berlin?«, fragte er.
»Ach«, sagte ich, »schon schön«, und kippte mein Jever in einem Zug.
»Probleme?«, fragte er.
»Ich bin … auf der Suche«, sagte ich.
»Wer nicht«, sagte der Wirt und hob zwei Finger. Sofort brachte eine Kellnerin zwei Schnäpse. Vier Zentiliter, mindestens.
»Aus dem Elsass«, sagte der Wirt. »Gut gegen Schwermut.« Ich konnte nicht herausschmecken, woraus der Schnaps gebrannt war, doch er wirkte schnell.
»Also kein Tourist? Was treibt Sie dann hierher?«
»Ich«, sagte ich tollkühn, »fahre Bildern hinterher.«
»Ach«, sagte der Wirt. Etwas blitzte in seinen Augen.
Als ich Stunden später mit wackeligen Beinen vom Tisch aufstand, wusste ich fast alles über die deutsche Punkszene der Siebzigerjahre und der Wirt mehr, als mir lieb war, über die beiden Isabels. Wir schworen, einander Briefe zu schreiben, dann wankte ich aus dem Lokal.
Trotz dieser unverhofften Verbrüderung hielt es mich nicht länger in meiner Berliner Bleibe. Um vier Uhr früh rief ich bei der Lufthansa an. Dank der Schnäpse vom Storch brauchte ich ein paar Minuten, um mich verständlich zu machen. Die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung erbarmte sich meiner. Zu einem Spottpreis von achtzig Euro durfte ich meinen Flug umbuchen. In zehn Stunden würde die Maschine starten. Ich schlich mich auf den Korridor und klebte der Nachbarin einen Zettel auf die Wohnungstür. »Danke für alles. Abreise morgen vierzehn Uhr. A. V.« Ich wollte ihr auf keinen Fall das Gefühl geben, dass sie mich vertrieben hatte.
Jetzt brauchte ich nur noch zu packen. Bedächtig, sorgfältig, ein Stück nach dem anderen. Am Ende Isabels Bild, behutsam in ein weiches Tuch gewickelt.
Es sollte keinen Kratzer bekommen. Das war mir wichtig.
Sechzehn
»Woran denkst du?«, fragte Isabel.
Wir standen bis zu den Hüften im dunkelgelben Wasser des Thermalbades im Parque Terra Nostra, die Arme auf den steinernen Beckenrand gestützt. Unsere Ellbogen berührten sich. Wir waren schon ganz durchweicht von den vielen Stunden im warmen Wasser, meine Fingerkuppen waren faltig, Isabels Rücken war von einer dünnen gelbbraunen Tünche überzogen. Schwefel und Eisen.
Isabel sah mich von der Seite an. Sie hatte mir diese Frage noch nie gestellt. Es war der 22. Juli 2002, fünf Uhr nachmittags. Ich weiß es noch ganz genau. Es war meine Stunde. Ich hatte ihr etwas Wichtiges zu sagen. Ich wusste nur noch nicht, wie.
Ich wies mit dem Kopf auf die Villa, die direkt vor uns lag, ein zweistöckiges Gebäude mit hohen Fenstern und ausladenden Balkonen. Eine Treppe, gesäumt von blühendem Oleander, führte direkt vom Becken hinauf zum Eingangsportal. Die Äste zweier steinalter Bäume streiften die Fensterläden.
»Wir könnten dort unsere Flitterwochen verbringen«, sagte ich.
Isabel hob den Kopf. Sie verscheuchte eine unsichtbare Fliege.
»Du bist verrückt, Arthur!« Sie lachte. »Darf ich dich daran erinnern, dass wir das bereits hinter uns haben.« Sie gab mir einen leichten Klaps auf den Hinterkopf.
Ich zog mich aus dem Wasser und setzte mich auf die unterste Stufe.
»Wir sind jetzt fast zwei Wochen auf São Miguel«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte Isabel.
»Ich habe viel nachgedacht«, sagte ich. »Über uns.«
»Wie immer«, sagte Isabel.
»Nein«, sagte ich. »Eben nicht wie immer.«
Isabel strich sich eine Strähne nassen Haares aus der Stirn, hinter ihr linkes Ohr.
»Du kennst meine ewige Skepsis, mein Grübeln«, sagte ich.
»Zur Genüge«, sagte Isabel. Hinter ihrem Rücken schwamm ein Pärchen vorbei, verblüffend synchron. Sie waren wohl weit über siebzig. Ihre Badekappen hatten die gleiche Farbe, ein verblichenes Rot. Beide hielten den Kopf über Wasser, als gelte es, dem Ertrinken zu trotzen. Sie lächelten.
Mir fiel ein, wie die alten Bäume hießen: Araukarien.
»Du kennst auch meine kreisenden Gedanken, meine Anfälle von Traurigkeit, kurz: meine Zweifel.«
»Kann man wohl sagen«, sagte Isabel.
Eine Waldameise kroch mir unter die Badehose. Ich rührte mich nicht. Dies hier war ein erhabener Augenblick.
»Nun«, sagte ich und versuchte meiner Stimme einen würdevollen Ton zu verleihen, »ich habe sie versenkt.«
»Was?«, fragte Isabel. Ich bemerkte die hinreißenden drei Falten auf ihrer Stirn, die sich immer bildeten, wenn ihr etwas nicht ganz geheuer war.
»Meine Zweifel«, sagte ich. »Ich habe sie in
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