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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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wir erschöpft in unsere Plastikstühle zurück. Wir stanken nach Schwefel, unsere Münder und Hände trieften vom Fett. Auf Isabels Wangen blühten rote Äderchen. Ein winziges Stück Lorbeerblatt klebte auf ihrer Unterlippe.
     
    Die Heimfahrt in unsere Quinta stand uns allerdings noch bevor. Wir ließen das Los entscheiden. Ich zog das kürzere Streichholz.
    Da man den Schlaglöchern nur ausweichen konnte, indem man sie umkurvte, musste man sich auch in nüchternem Zustand in Schlangenlinien fortbewegen. Dazu kam noch, dass alle paar hundert Meter eine Rinderherde durchs Geäst brach und mitten auf der Piste eine Pause einlegte. Einmal reagierte ich zu spät und wäre beinah einem Stier in die Flanke gekracht. Isabel sagte kein Wort, stieg aus, hielt mir die Tür auf und übernahm das Steuer.
    Endlich heil angekommen, waren wir müde und überdreht. Ich holte noch eine Flasche Vinho de Cheiro aus der Küche. Als ich zurückkam, lag Isabel rücklings auf dem Bett und hielt ein Buch in der Hand. Zuerst dachte ich, sie wollte tatsächlich lesen, doch dann sah ich, dass sie das Buch verkehrt herum hielt. Es war eines ihrer Zeichen, das Startsignal zu einem unserer zahlreichen Rituale.
    Ich küsste die Haut zwischen den Zehen ihres rechten Fußes, weil ich wusste, dass sie das mochte. Sie beugte sich vor und zog mich sanft an den Haaren, weil sie wusste, dass ich das mochte. Es fing alles an wie immer. Und dann wurde es doch ein bisschen anders.
    Araukarien: klang wie ein Land, in dem die Liebe den Menschen von den Bäumen in den Mund fällt. Dort wollte ich sein.
    Am frühen Morgen schlich ich aus dem Bett und ging auf die Terrasse.
    Zwischen den zum Meer hin abfallenden Weiden, die sich aneinanderdrängten, als wären sie selbst, jede für sich, ein Stück Vieh und müssten sich Platz in einer Herde suchen, blitzte das Blau der Hecken auf, das die Weiden trennte, während ich an jenem Morgen dachte, es würde nie wieder etwas Trennendes geben. Für mich war es das Blau, das den Himmel mit dem Meer und mich mit der Wonne der Gewissheit verband. Vielleicht nicht für immer, aber doch auf, sagen wir, ziemlich lange Zeit.
    Das allgegenwärtige Blau von São Miguel: das Blau der Hortensien. Als Leitplanken an jeder Straße, zwischen allen Wasserfällen, jede Fincha beschützend, jedes noch so zwergenhafte Gärtchen umzäunend: Hortensien. Von jedem Miradouro aus alle anderen Farben überstrahlend: Hortensien. Von einem übermütigen Heidengott mit breitem Pinsel über die ganze Insel gewischt, aus dem Handgelenk. Ein unheimliches Blau. Alles beherrschend, und dennoch unwirklich.
    Die Wasserschlürferin, hydrangea macrophylla .
    Die Rinder fraßen sie nicht, das war das Geheimnis.
    »Arthur«, rief Isabel, »wo bist du?«
    »Ich bin hier«, sagte ich. »Auf dem Balkon.«
    »Komm schlafen«, sagte Isabel.
    Ich kam schlafen. Ich war angekommen. Zweifellos. Nach vierzehn Jahren.
    Wie sollte ich wissen, dass es zu spät war?

 
    Siebzehn
     
    Nach dem Desaster in Berlin hatte ich die Buchung diesmal selbst in die Hand genommen und ein Fünfsternehotel in unmittelbarer Nähe der Tower Bridge gewählt. Das Zimmer lag im fünften Stock und war für Londoner Verhältnisse geräumig. Im Parterre konnte man sogar in einem Pool planschen, wenn man wollte. Ich wollte nicht.
    Ich stellte Isabels Bild zum Fenster, damit sie die Aussicht genießen konnte. Die Themse war zwar kein Meer, aber in jedem Fall besser als die rußverschmierte U-Bahn-Station Yorckstraße.
    Wollte am ersten Abend meinem frisch angekränkelten Indien-Bild eine Chance zur Wiedergenesung geben. Nach einem kleinen Spaziergang durch die am Wochenende ausgestorbene Banker-City landete ich in einem schlicht eingerichteten Etablissement in der Prescot Street. Es hieß Café Spice Namaste , war buddha-, gandhi- und shivafrei und voll mit Menschen aller Hautfarben, die offensichtlich nicht fürchteten, die Ente auf dem Teller könnte in einem früheren Leben Onkel Rabindranath aus Kalkutta gewesen sein.
    Hier wurde fein diniert: Die meisten Herren trugen Sakko und Krawatte. Ich wollte schon umkehren, doch der Kellner ignorierte meinen nicht ganz taufrischen Pullover und führte mich an einen Ecktisch. Die Karte war vielversprechend; als dann noch der Chef persönlich mir zärtlich eine Stoffserviette in den Schoß bettete, um meine ausgebeulte Hose vor der Sauce zu schützen, fühlte ich mich beinahe geborgen.
    London-Ankunft geglückt. Indien-Rehabilitation in Arthur

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