Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Valentins Minimundus abgeschlossen.
Achtzehn
Nach einem Frühstück, das den für Kenner englischer Hotels alarmierenden Beinamen »continental« trug und auch so schmeckte, verzog ich mich erstmal ins Wetherspoon , ein zweistöckiges Pub um die Ecke, gönnte mir ein English Breakfast und studierte den Stadtplan. Offensichtlich konnte ich meiner Undergroundphobie entrinnen, indem ich einfach von der Tower Bridge aus die Themse entlangwanderte, über Norman Fosters Millennium Bridge zum anderen Ufer spazierte und von der Tate Modern aus das Galerieboot zur Tate Britain nahm.
Vor der Tate Modern packte mich die Ehrfurcht. Über dem stillgelegten Ölkraftwerk von Southwark blitzte der zweistöckige Glasaufbau von Herzog&deMeuron in der Sonne. Zumindest die frühere Turbinenhalle wollte ich von innen sehen; die Menschentrauben vor den Eingängen hielten mich dann davon ab. Vielleicht war es auch besser so: Nichts sollte mich von meiner Mission ablenken.
Der Hurricane Clipper legte am Bankside Pier an, und ich kletterte an Deck. Das Museumsboot war von Damien Hirst gestaltet worden. Mit bunten Punkten, nicht mit Fliegen. Ich genoss die Fahrt auf der Themse, wenn auch ein wenig abwesend. An Steuerbord zogen die Houses of Parliament und Westminster Abbey vorüber, meine Mitpassagiere zückten die Kameras, aber ich blieb gelassen. Ich war schließlich kein Tourist, ich hatte ein Ziel. Alles, was mir auf meinem Weg dorthin begegnete, war unbedeutend, nur scheinbar existent. Reine Kulissenschieberei.
Ich ging am Millbank Pier von Bord, mein Herzschlag beschleunigte sich. Blieb lange vor den respekteinflößenden Säulen der Tate Britain stehen, ehe ich mir einen Ruck gab und das Gebäude betrat. Ich war ein seltsamer Besucher. Mich scherten kein Turner und kein Constable; die Präraffaeliten würdigte ich keines Blickes. Ich steuerte auf kürzestem Weg auf den Saal zu, in dem meine Bilder auf mich warteten. Nur manchmal öffneten sich meine Scheuklappen ein wenig: Ich staunte über die gespenstische Resurrection, Cookham von Stanley Spencer, ein gewaltiges Panorama einer Auferstehung, fünfeinhalb Meter breit, fast drei Meter hoch, in der die Toten auf einem Friedhof einer englischen Kleinstadt aus ihren Gräbern krochen. Isabel hätte mir angesichts dieser schaurigen Untoten sicher einen kleinen Vortrag über George A. Romero gehalten; warum Night of the Living Dead bedeutender sei als Dawn of the Dead . Oder umgekehrt. Spencers Auferstandene zeigten allerdings keinerlei Symptome von Verwesung: Rosig und frisch stiegen sie aus ihren Grüften, sprangen fröhlich aus Erdlöchern, öffneten schwere Grabplatten wie Balkontüren. Eine frisch Erweckte mit streng gescheiteltem Haar vergrub ihr Gesicht in einer fleischigen Sonnenblume; ein Grab im Vordergrund sah aus wie ein mannsgroßes Überraschungsei, ein anderes erinnerte an eine Party-Torte aus Karton, aus der eine Leiche hüpfte, als sei sie die Mitternachtseinlage beim Jüngsten Gericht.
Und Henry Moores Recumbent Figure nahm ich wahr, die Steinplastik einer liegenden Frau auf einem grünen Quader, ein in sich ruhendes und doch beunruhigendes Geschöpf, halb Mensch, halb Landschaft.
So. Einmal noch durchgetaucht unter einem der klassizistischen Torbögen, die die Ausstellungsräume voneinander trennten, dann war ich am Ziel.
Ohne Warnung sprangen sie mich an, die Geschöpfe der Finsternis. Sie hatten mich längst gewittert, nun fielen sie über mich her. Endlich wieder menschliches Fleisch. Ich war das Lebendfutter, die Maus für das Terrarium der Bestien aus der Hölle.
Neunzehn
David Sylvester: »Die Vorstellung, dass die Menschen nur durch die Kreuzigung von Gottes einzigem Sohn erlöst werden, scheint mir eine ziemlich tragische Sicht auf das Leben. Und dann mag es da das Versprechen der Seligkeit geben, aber da ist auch die Drohung der Hölle. Glauben Sie nicht, dass jeder gläubige Christ, der sich für verdammt hält, es nicht vorziehen würde, eher keine unsterbliche Seele zu haben als in ewiger Qual zu leben?«
Francis Bacon: »Nein, ich glaube nicht. Ich denke, dass die Menschen so sehr an ihrem Ego hängen, dass sie wahrscheinlich eher die Qual wählen würden als die einfache Auslöschung.«
DS: »Sie selbst würden die Qual vorziehen?«
FB: »Ja, würde ich, weil ich, wenn ich in der Hölle wäre, immer spüren würde, dass ich eine Chance hätte zu entkommen. Ich wäre immer sicher, dass es mir möglich wäre zu
Weitere Kostenlose Bücher