Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Eumeniden fügten sich in ihr athenisches Schicksal.
Erst als ich halbwegs sicher war, dass alles mit rechten Dingen zuging, der Geist mich passieren lassen und die Kreaturen mir keine Fleischstücke aus dem Rücken reißen würden, wandte ich mich ab und ging, mit Herzklopfen, aber gemessenen Schritts, zu Portrait of Isabel Rawsthorne 1966.
Einundzwanzig
Dieser Mantel ist ein Gebirgsmassiv, in stockdunkler Nacht bricht ein Kopf aus ihm hervor, in einer majestätischen Eruption. Pompeji, sagte ich mir, der Augenblick des Ausbruchs, und wir stehen nichtsahnend in schmucken Togen vor unseren Häusern und staunen über den brennenden Himmel. Zeigen mit Fingern auf die Feuersäule, jauchzen und hüpfen, und rechnen nicht mit dem Ersticken in einem Regen aus Asche und Schwefel. Bald werden wir Material sein für die Archäologie, aber noch können wir unsere Augen nicht losreißen von dem flammenden Loch in der Luft, das aussieht wie das Gesicht einer Frau.
Isabels Kopf ist der eines neugeborenen Mädchens, das entrüstet die Welt mustert, in die es gezwängt wurde. Und der Kopf einer angeekelten Geliebten; ihr Blick ruht auf dem Körper des Mannes, der sich schon von ihr weggedreht hat: Sein Werk ist getan. Bacon hat ihr mit seinem Pinsel das Sperma des Versagers auf die Lippen geschossen, und die herabgezogenen Mundwinkel der Königin sagen: Das wirst du nicht überleben.
Isabels Kopf steckt aber auch auf dem Hals einer zürnenden Göttin, die noch kurz das Strafmaß abwägt, bevor sie mit einem Lidschlag die Katastrophe losbrechen lässt.
Gleich würde etwas passieren. Das war es eigentlich, mein Bacon-Gefühl. Wann immer ich mich einem dieser Bilder auslieferte, wurde mir klar, dass die Welt ab sofort nicht mehr so bleiben konnte, wie sie war. Allein deshalb, weil ich, Arthur Valentin, in diesem Augenblick ein Gemälde betrachtete. Nur ich allein konnte den Untergang auslösen, sobald mein Blick sich mit diesen Farben traf. So konnte ich dann manchmal mächtig werden inmitten meiner Erbärmlichkeit. Oder auch nicht, egal. Alles, was das Elend ein bisschen milderte im Hier und Jetzt, war brauchbar.
Da geschah tatsächlich etwas, mitten im Bild: Der Hals der Göttin fuhr ein Stück weiter aus dem Berg, vor meinen Augen. Er bewegte sich, ich sah es genau. Die Berghänge erzitterten. Glühende Brocken fielen, blaue Gasschweife hinter sich herziehend, vom Saum des Mantels, vom Rücken des Vulkans, aus dem Bild in die Welt.
Ich sah auf den Boden des Galerieraums. Hier müssten doch jetzt Einschlaglöcher zu sehen sein, richtige Krater.
Aber der Boden war unversehrt.
Oder nicht ganz.
Das Erste, das ich wahrnahm, waren Stöckel von grünen Schuhen. Mein Blick kam wieder vom Boden hoch. Der Saum eines Kleides, auch grün. Mein Grün. Dieses Kleid hatte ich gekauft, oder nicht?
Links von mir. Zweifel ausgeschlossen. Stand Isabel. Wandte mir den Rücken zu.
Ihr braunes Haar war kurz geschnitten. Ballast abgeworfen. Neues Leben.
Ihre rechte Hand war in die Armbeuge eines Mannes gebettet. Graue Haare, hochgewachsen, aber gebückte Haltung, Schultern leicht nach vorne gezogen. Nur seinen linken Arm präsentierte er mit dem Stolz eines Falkners, der ein besonders edles Tier geködert hat.
Ich überwand die Lähmung des Entsetzens und schlich aus dem Raum. Von einer Stelle vor dem Eingang konnte ich sie hören, aber sie konnten mich nicht sehen. Ich lauschte.
Gelächter, Gegurre. Widerwärtig.
»Schön«, sagte Isabel.
»Nicht wahr?«, sagte der Mann. »Lucian und Francis …«
Leider verstand ich nur Wortfetzen.
»Porträt«, hörte ich den Mann sagen. »Von Bacon.«
»… verschollen …«, sagte Isabel.
»… an uns bringen …«, sagte der Mann.
»Aber wenn wir es schaffen …«
Es entstand eine Pause. Isabel seufzte. Vielleicht litt sie ja unter der neuen Beziehung? Genau, so musste es sein!
»… keinen anderen Weg.« Das kam wieder von ihrem Begleiter.
Dann schwiegen sie.
In einem Anfall von Tollkühnheit beugte ich mich ein wenig vor, um ihre Gesichter zu sehen.
Isabels Züge waren ernst, aber ruhig. Sie sah glücklich aus. Beschäftigt mit Wesentlichem. Sie war so schön, dass es mir Tränen in die Augen trieb.
Den Mann kannte ich. Er hieß Lohmeier. Ein Kunde des Maldoror .
Zweiundzwanzig
Die beiden wandten sich von dem Bild ab und schlenderten in Richtung Torbogen, zum nächsten Ausstellungsraum.
Sie kamen direkt auf mich zu.
Im letzten Moment sprang ich vom Saaleingang
Weitere Kostenlose Bücher