Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
entkommen.«
Erste Aprilwoche 1945: Die Lefevre Gallery, im ersten Stock eines Hauses an der Westseite der New Bond Street gelegen, zeigt eine Gemeinschaftsausstellung britischer Künstler. Graham Sutherland, Matthew Smith, Henry Moore, Francis Bacon. Zum ersten Mal seit sieben Jahren stellt Bacon wieder aus. Er verdankt die Einladung seinem damaligen Förderer Sutherland. Die Eröffnung ist ein Ereignis für die Kunstwelt, sie lockt die Menschen in Scharen an.
Viele von ihnen kommen allerdings schnell wieder heraus. Unmittelbar rechts neben dem Eingang hängt ein dreiteiliges Bild, auf dessen Schrecken und unmittelbare Wucht sie nicht vorbereitet sind. Drei Gestalten aus einer Alptraumwelt, halb Mensch, halb Tierkadaver, ebenso mitleiderregend wie furchteinflößend. Aalartige Hälse, aufgerissene Mäuler, verstümmelte Flügelchen. Zähne gefletscht, Augen geblendet. Sie kauern in Zellen mit orangefarbenen Wänden. Obschon mit groben Strichen hingeworfen, scheinen sie zu atmen, zu schreien, auf Beute zu lauern. Wer sie betrachtet, spürt ihre Angriffslust. Die körperliche Bedrohung. Wer ihnen zu nahe kommt, ist verloren.
Bacon hatte jahrelang an dem Triptychon gearbeitet. Erste Vorstufen existierten bereits seit 1939, etwa Figure Getting Out of a Car , ein Bild, das er zwar später zerstört hatte, das aber von einem Atelierbesucher zuvor fotografiert werden konnte. Schon hier: der Hals, das Maul, der Vogelkörper. Doch das Ding lebte noch nicht.
Die endgültige Fassung von Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion war wahrscheinlich Ende 1944 abgeschlossen. Bacon sah dieses Triptychon als seine erste gelungene Arbeit an, den Beginn seiner Entwicklung als ernstzunehmender Künstler. Als er die Gestalten auf die Öffentlichkeit losließ, war er 35 Jahre alt. Drei biomorphe, an Picasso geschulte Figuren, Öl und Pastell auf »Sandeala Board«, einem absorbierenden Holzfaserträger. Drei Meteoriten aus einer anderen Welt. Die Schockwellen, die sie auslösten, sind bis heute nicht verebbt. Der Skandal kam sofort nach dem Aufprall.
»Ich zweifle nicht an Mr. Bacons ungewöhnlichen Fähigkeiten«, schrieb Raymond Mortimer in einer Kritik der Ausstellung im New Statesman , »aber diese Bilder scheinen mir eher Symbole des Aufruhrs als Kunstwerke zu sein. Wenn ihn der Frieden wieder beruhigt hat, mag er uns ebenso erfreuen, wie er uns jetzt bestürzt.«
Francis Bacon war nicht zu beruhigen. Es war auch nicht der Krieg allein, der diese Geschöpfe in ihm erwachen ließ. Für ihn waren sie die Eumeniden aus dem dritten Teil der Orestie von Aischylos, Rachegöttinnen aus dem Herzen der Finsternis. Alekto, Teisiphone und Megaira. Bei den Römern hießen sie Furien, bei den Griechen auch Erinnyen. »Eumeniden« bedeutete »die Wohlgesonnenen« – ein Euphemismus, den die Athener verwendeten, um sie milde zu stimmen. Ihre Bestimmung war es, Frevler in den Wahnsinn zu treiben oder zu zerfleischen. Sie rächten Verbrechen gegen die Bande des Blutes. Ihre bevorzugten Opfer waren Vater- oder Muttermörder.
Bacon war hingerissen von der Orestie , seit ihm die neue Übersetzung von William Bedell Stanford in die Hände gefallen war. Immer wieder zitierte er seine Lieblingsstelle: »der Gestank des menschlichen Blutes lächelt mich an« (»the reek of human blood smiles out at me«). So spricht die Chorführerin der Furien, als diese sich im Heiligtum der Athene um den gejagten Orest versammeln. Der Mann, der seine Mutter Klytaemnestra erschlagen hat, soll hingemetzelt werden.
»Aus lebendigem Leib schlürfen wir ihm
– Blut, das Blut vergossen hat –
Den Opfertrank.
Er wird mich tränken,
Er wird mich speisen.
Das Fleisch, das Blut,
Das niemand will –
Mich macht es satt!
Und Schluck für Schluck!
Und Biss für Biss
Zehr ich dich auf
Und schlepp dich mit:
Hinab mit dir!
Den Mord mit Mark und Bein und Blut bezahlt!«
In die Enge getrieben und zitternd vor Angst, ruft Orest Athene um Beistand an. Sein Fall wird nun zwischen der archaischen Blutrachetradition der Eumeniden und der staatstragenden, vernunftorientierten Gesetzgebung der Göttin ausverhandelt.
Am Ende wird das Barbarisch-Blutige nicht ausgemerzt, sondern eingemeindet. Athene nennt die Erinnyen »hochheilige kindlose Kinder der Nacht«; in einem »Thronsaal, tief im Dunkel« werden sie künftig wohnen. Das neue Bündnis zwischen Argos und Athen wird mit einem »Purpurzug im Fackellicht« besiegelt.
Unabhängig vom
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