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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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sagen die Erinnyen, »entkommt uns nicht. Er zahlt zurück, was er verschuldet hat.« Der Taxifahrer konnte nur beten, dass sie ihn nicht erwischten.

 
    Dreiundzwanzig
     
    Kaum hatte ich die Hotelzimmertür aufgeschlossen, stürzte ich mich auf mein Mobiltelefon und rief Maia an.
    »Ich bin in London«, sagte ich. »Ich habe eben Isabel gesehen.«
    »Ich bin im Bett«, sagte sie. »Ich habe eben Charles Laughton gesehen. Was ist los? Bist du betrunken, am helllichten Nachmittag? Ich weiß doch, dass du in London bist.«
    »Ich habe Isabel gesehen. In der Tate Britain.«
    »Klar. Dort hängt sie ja seit Ewigkeiten.«
    »Nicht die. Die wirkliche Isabel. Meine Isabel. Mit einem unserer Kunden.«
    »Was? Etwa mit diesem Kunststudenten, auf den du immer so …«
    »Nein, Maia. Hör mir zu. Der Mann heißt, soweit ich mich erinnere, Lohmeier.«
    »Der Hamburger Geldsack? Was macht sie denn mit dem? Muss doch über sechzig sein, der Mann.«
    »Das darfst du nicht mich fragen«, sagte ich.
    »Entschuldige«, sagte Maia. »Hast du mit ihnen gesprochen?«
    »Gott bewahre. Aber ich habe sie belauscht.«
    »Und?«
    »Ich hab nur Bruchstücke verstanden. Er sprach von einem Bacon-Porträt. Er sagte etwas von an uns bringen. «
    »Und Isabel?«
    »Hing an seinen Lippen.«
    »Verstehe«, sagte Maia. »Was hast du jetzt vor?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich. »Zuerst vielleicht herausfinden, wer er ist. Du führst doch so eine pedantische Kundenkartei …«
    »Pedantisch würde ich das nicht nennen«, sagte Maia gekränkt. »Exakt ja, aber nicht pedantisch.«
    »Verzeihung. Könntest du bitte trotzdem nachschauen, was wir über ihn haben?«
    »Mach ich«, sagte Maia und legte auf.
    Ich ging rauchend im Hotelzimmer auf und ab; fühlte mich ein wenig wie die Karikatur eines Vaters vor dem Kreißsaal. Warum dauerte das so lange? War sie auf dem Weg ins Maldoror aufgehalten worden? War ihr gar etwas passiert?
    Endlich läutete das Telefon.
    »Also«, sagte Maia. »Lohmeier Viktor. Geboren und wohnhaft in Hamburg. Alter 62. Stammt aus einer traditionsreichen Reederfamilie. Trägt ausschließlich Maßanzüge und handgefertigte englische Schuhe.«
    »Das steht alles in deiner Kartei?«
    »Ich informiere mich eben über unsere Kunden«, sagte Maia. »Würde dir auch nicht schaden.«
    »Schon gut«, sagte ich. »Was noch?«
    »Er ist ein treuer Kunde. Kauft vor allem teure und rare Bildbände. Aber auch Neuerscheinungen. Spezialgebiete Rembrandt und Renoir. Sobald zu diesen beiden ein Buch erscheint, ist er schon da und kauft es.«
    »Warum tut er das nicht in Hamburg?«
    »Gute Frage«, sagte Maia. »Davon steht leider nichts in meiner Kartei.«
    »Francis Bacon?«
    »Nein.«
    »Lucian Freud?«
    »Nicht ein einziges Buch.«
    »Schade«, sagte ich, als wären wir kurz vor der Lösung eines spektakulären Falles gescheitert.
    »Mehr hab ich nicht«, sagte Maia. »Also dann.«
    »Warte noch«, sagte ich. »Eines möchte ich noch wissen. Wie kam er dir vor?«
    »Freundlich, zuvorkommend. Gute Manieren. Charmant. Sehr beschlagen. Aber …«
    »Aber was?«
    »Ich weiß nicht recht …«
    »Ein bisschen glatt vielleicht? Schmierig? Nicht ganz integer?«
    Maia seufzte. »Ich weiß schon, dass du das hören willst. Aber es stimmt nicht. Ich fand ihn nur ein wenig …«
    »Ja?«
    »Großspurig«, sagte Maia.
    »Na wenigstens etwas«, sagte ich.
     
    Ich packte zwei der Bildbände, die ich im Handgepäck nach London mitgeschleppt hatte, in den Rucksack, verließ das Hotel und suchte mir einen Platz im Wetherspoon Pub , an dem ich mich ein wenig ausbreiten konnte. Ich entschied mich für einen Tisch im ersten Stock, direkt an einem Fenster. Holte mir an der Theke ein Pint Bitter und zündete mir eine Zigarette an. Vom Fenster aus konnte man die Tower Bridge sehen, ein roter Doppeldeckerbus fuhr vorbei, und das Bitter entfaltete seine beruhigende Wirkung. Es war London-Folklore pur, aber mir stand der Sinn nicht nach Sentimentalitäten. Ich schlug den ersten Band auf, eine von France Borel herausgegebene Sammlung von Bacons Porträts und Selbstporträts. Die Qualität der Farbdrucke war ausgezeichnet; ich wunderte mich nur gelegentlich, dass die Bilder nicht gegen das verunglückte Vorwort von Milan Kundera rebellierten und aus dem Buch in die Freiheit drängten. Die schönsten Freud-Porträts waren unter den kleinen zu finden, 35,5 mal 30,5 Zentimeter, dieselben Ausmaße wie das Triptychon von Isabel, das ich in Wien und Basel gesehen hatte. Study for

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