Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
für das Rawsthorne-Bild kaum interessiert hatten, ging es in ihrem Gespräch wohl um ein Bacon-Porträt. Aber ich konnte mich auch täuschen. Vielleicht hatten sie Isabels Bild längst ausführlich betrachtet, als ich dazugestoßen war. Dagegen sprach, dass ich ja fast eine Stunde in dem Ausstellungsraum verbracht hatte, ehe sie mir aufgefallen waren. Andererseits: Wer sagte mir, dass sie nicht schon Tage zuvor das Bild genau studiert hatten? Isabel steht vor Isabel, und sie bemerkt es nicht? Sehr unwahrscheinlich.
Lucian und Francis, hatte Lohmeier gesagt.
Ich hatte noch im Gedächtnis, dass Bacon Freud um 1945 kennengelernt hatte, auf Drängen des gemeinsamen Freundes Graham Sutherland. Die Freundschaft hielt mehr als zwanzig Jahre; erst eine Auseinandersetzung zwischen Freud und Bacons sadistischem Geliebten Peter Lacy trübte das Verhältnis. Was die beiden Maler verband, war nicht nur die Tatsache, dass sie in einer vom abstrakten Expressionismus dominierten Zeit beharrlich an ihren jeweils unverwechselbaren Spielarten des Figurativen festhielten. Lucian Freud, Enkel Sigmund Freuds, war wie Bacon besessen davon, hinter der Oberfläche der Menschen deren wahre Essenz zum Vorschein zu bringen – und wie Bacon liebte er es, neue Bekanntschaften zu machen und das exzessive Nachtleben Sohos auszukosten. Ich erinnerte mich an einen Anfang des Jahres im Daily Mirror erschienenen Artikel, der wenig Worte über Freuds Malerei verlor, ihm aber mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung nachsagte, der Vater von vierzig unehelichen Kindern zu sein. Zwei Fotos waren dem Dreispalter zur Seite gestellt: Eines zeigte den 81-jährigen Lucian mit einer um 54 Jahre jüngeren Schönheit. Das andere war ein grobkörniges Filmstill aus dem Jahr 1939. »Geprägt fürs Leben«, verkündete die Bildunterschrift, »Lucian Freud mit Großvater Sigmund an dessen letztem Geburtstag.«
Ich hatte nur wenige seiner Bilder gesehen, und auch die nur in Büchern oder Zeitschriften. Eine Schwarzweißaufnahme von 1953 hatte sich mir eingeprägt: Daniel Farsons Schnappschuss von Bacon und Freud in Bacons Atelier, beide wild gestikulierend, offenbar in ein Streitgespräch verwickelt. Ein Gegenstand flog durch die Luft; man konnte nicht genau erkennen, was es war. Es sah aus wie ein Toast.
Ich dachte kurz daran, umzukehren und mir das Gemälde, vor dem Isabel und Lohmeier gestanden waren, anzusehen. Doch allein die Vorstellung, den beiden wieder über den Weg zu laufen, bereitete mir Magengrimmen. Meine nächste Begegnung mit Isabel durfte ich nicht dem Zufall überlassen. Ich musste sie sorgfältig planen und meinen Rivalen mit einem überraschenden Coup in die Knie zwingen. Wie das funktionieren sollte, war mir jedoch völlig schleierhaft. Den erneuten Besuch in der Tate Britain verschob ich jedenfalls auf den nächsten Tag.
Bacons Porträts von Freud kannte ich natürlich besser, die meisten davon aber ebenfalls nur aus Maias Büchern. Es mussten weit über dreißig sein. Das allererste Bild von Bacon, das mit einer bestimmten Person identifizierbar war, hieß Portrait of Lucian Freud und entstand 1951, inspiriert von einem Foto Franz Kafkas auf dem Frontispiz der Prager Ausgabe von Max Brods Biografie. Das letzte mir bekannte Gemälde, das Lucian Freud zeigte, war Teil eines Triptychons aus dem Jahr 1973.
Mittlerweile war mir heiß geworden und ich musste stehenbleiben, um durchzuatmen. Zog die Regenjacke wieder aus, stopfte sie in den Rucksack zurück und wischte mir mit dem Hemdsärmel die Schweißtropfen von der Stirn. Beim ersten Gedanken an Isabels grünes Kleid kroch mir aber sofort wieder die Kälte den Rücken hinauf. Wenn ich die Augen schloss, sah ich Lohmeiers dargereichten Arm, ungewöhnlich stark behaart. Aber er hatte doch ein Anzugjackett mit langen Ärmeln getragen?
Ich zog den Stadtplan aus der Hosentasche und versuchte mich zu orientieren. Sehr weit war ich nicht gekommen. The London Eye , das monströse Riesenrad der British Airways, war zwar schon zu sehen, aber doch noch in beträchtlicher Entfernung. Außerdem hätte ich, wenn man der Genauigkeit des Stadtplans trauen konnte, selbst dort erst ein Drittel meines Weges hinter mich gebracht.
Gab also auf, stellte mich an den Straßenrand und winkte nach einem Black Cab. Um den Preis, den ich dann am Tower Hill zahlen musste, hätte ich mir in einer anderen Stadt einen Mittelklassewagen für einen ganzen Tag mieten können.
»Wer sich an Fremden vergeht«,
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