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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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aufzuhalten, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich von ihrem Sog mitreißen zu lassen. Möglicherweise war für einen Zauderer wie mich der einzige Ort, an dem man dem Leben ein paar Ereignisse abtrotzen konnte, der Windschatten eines Tatmenschen.
    Es ging mir ja nicht schlecht in Maias Schatten. Ich fühlte mich gleichzeitig geborgen und kühn. Vorlaut statt kleinlaut.
    »Wie willst du an das Bild herankommen?«, fragte ich.
    »Falsche Frage«, sagte Maia. »Es muss heißen: Wie wollen wir an das Bild herankommen.«
    »Es gehört uns nicht«, sagte ich.
    »Wir nehmen es ja nicht mit«, sagte Maia. »Wir wollen ja nur einen Blick darauf werfen.« Das überzeugte mich nicht. Ich legte demonstrativ zweifelnd den Kopf schief, bis Maia lachen musste.
    »Na ja«, sagte sie. »Es sei denn, es ist unwiderstehlich.«
    Da war wieder dieses Glühen auf ihren Wangen.
     
    Wieder zurück in der Mühlgasse, schob ich eine CD von Damien Rice in den Player und legte mich auf die Wohnzimmercouch. Live at Union Chapel . Ich brauchte nur die ersten Takte von The Blower’s Daughter zu hören, schon fühlte ich mich mit allen anderen Menschen verbunden, die je auf einer Couch liegend Damien Rice gehört hatten. Die weltumspannende Gemeinde der Geschiedenen und Verlassenen, der Abgekanzelten und Betrogenen. Undenkbar, dass jemand, der The Blower’s Daughter hörte, nicht verlassen worden war. Verlassen worden zu sein, war die Voraussetzung dafür, der geheimen Bruderschaft beitreten zu dürfen. Lange Zeit war ich stolz gewesen, Mitglied zu sein. Doch jetzt fühlte ich mich nicht mehr ganz zugehörig. Mein Verhalten war untypisch. Damien-Rice-Hörer reisen nicht wie Verrückte ihren entflohenen Liebsten hinterher; sie spinnen sich ein in das Gewebe dieser tieftraurigen Musik und leiden würdevoll. Sie schweben knapp über dem Boden, wie auf einem fliegenden Teppich, und wenn sie zur Zimmerdecke blicken, sehen sie die Milchstraße. Aber innerhalb des Zimmers rühren sie sich nicht von der Stelle. »So it is«, sang Damien Rice, »just like you said it should be.« Du hast es so gewollt, und jetzt ist es, wie es ist. »No love, no glory.« Der Bogen des Cellos von Vyvienne Long durchstieß jede noch so verhärtete Herzwand. Wenn gegen Ende des Songs Lisa Hannigan mit der Stimme eines Cherubs etwas flötete, das beim ersten Hören wie »did I say that I love you« klang, sich bei genauerem Hinhören (oder spätestens bei der Lektüre der Lyrics) aber als »did I say that I loathe you« entpuppte, wurde dem Damien-Rice-Hörer mit einem Schlag klar – und zwar so, als wäre diese Einsicht etwas völlig Neues – , wie trügerisch Liebesbekenntnisse waren und wie rasch Leidenschaft in Hass umschlagen konnte. Falls das nicht ohnehin von Anfang an dasselbe war.
    Damit war es aber noch nicht getan. Damien hatte das letzte Wort. »I can’t take my mind off of you«, schmetterte er der perfiden Partnerin entgegen, und beim Hören dieser Zeile überfiel einen die Erkenntnis, dass die Zeit es verabscheute, Wunden zu heilen, dass das einzige Vorrecht des Verlassenen die Beharrlichkeit war, der trotzige Stillstand, die Gewissheit, dass alles, was außerhalb der privaten Schmerzzone Aufmerksamkeit einforderte oder Wirklichkeitsansprüche geltend machte, null und nichtig war. Und dass der einzige Trost darin bestand, mit der leidigen Fixierung nicht allein dazustehen.
    Nein, es stand außer Zweifel: Damien-Rice-Hörer planen niemals, in einen Dachboden einzubrechen, um dem neuen Geliebten der treulosen Frau ein Bild vor der Nase wegzuschnappen.
     
    Isabel hatte mich immer für einen zögerlichen Grübler gehalten. Unfähig, den Gedanken Taten folgen zu lassen. Vielleicht wollte ich ihr nur beweisen, dass das nicht stimmte.
    Ich beendete meine Damien-Rice-Meditation und legte Lou Reed auf, Heroin .
    »I don’t know just where I’m going.«
    Leichteren Herzens begann ich zu packen. Was nimmt man mit, wenn man einbrechen will? Einen Satz Schraubenzieher? Brecheisen? Eine Tarnkappe? Beruhigungstabletten? Ein Daunenkissen für die Zelle?

 
    Acht
     
    »Kehrwieder«, sagte Maia.
    »Was?«
    »Die Adresse des Speichers. Thomas sagt, sie lautet Kehrwieder 4.«
    »Weiß dein Thomas eigentlich, was wir hier machen?«
    »Er wird es wohl ahnen.«
    »Wenigstens ist er nicht mehr bei der Polizei.«
    Wir saßen im Fond eines Taxis, das uns vom Flughafen Fuhlsbüttel zu unserem Hotel brachte. Vor den Fenstern zogen Gärten vorbei, Parklandschaften,

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