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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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sogar kleine Wälder. Inmitten des üppigen Grüns blitzte immer wieder das Violett von Blüten auf, die ich noch nie gesehen hatte. Auf der Kennedybrücke tauchten für einen Moment beide Seiten der Alster auf. Segelboote zogen ihre Bahnen durchs glitzernde Wasser.
    Das Hotel Bellevue lag nicht ganz »an der Außenalster«, wie die Anzeige versprochen hatte. Zwischen der Frontfassade und dem Ufer donnerte der Verkehr einer sechsspurigen Straße vorbei. Aber wir hatten Glück und bekamen zwei Zimmer im hinteren Trakt des Hotels, wo der Lärm zu ertragen war.
     
    Maia wartete schon im Foyer auf mich, als ich herunterkam.
    »Na endlich. Ich dachte schon, du wärst eingeschlafen.«
    Wir querten die Straße und suchten uns eine Bank am Wasser. Am Ufer der Außenalster erstreckte sich ein dünner Schilfgürtel. Eine Entenfamilie mit sechs durcheinanderpiepsenden Küken trieb vorüber. Vor uns schaukelten vertäute Segelboote. Ein schmaler Pier führte zu einem schwimmenden Restaurant.
    »Die Adresse weißt du also schon«, sagte ich. »Was hat dir Thomas noch anvertraut?«
    »Nicht viel. Es gibt mehrere einzelne Speicher in Kehrwieder 4. Wir müssen herausfinden, welcher es ist. Und ich muss wissen, wie das Schloss aussieht. Erst dann kann ich sagen, welches Werkzeug ich brauche.«
    »Und das besorgst du dir dann auf der Stelle?«
    »Kein Problem, wir sind in Hamburg.«
    »Dem Schlaraffenland der Schlossknacker?«
    »Nicht ganz«, lachte Maia. »Aber Nachschließen ist auch ein Sport. Völlig legal. Und hier gibt’s eine große Community. Ich hab ein paar heiße Telefonnummern.«
    Die Segelboote zischten vorbei, so nahe, dass das Wasser fast bis zu unseren Füßen spritzte. Auf dem gegenüberliegenden Alsterufer erhob sich das Radisson-Hotel, ein Betongebilde, das von hier aus einem riesigen Heizkörper glich. Daneben ragte der schneeweiße Fernsehturm in die Höhe. Ein paar Hotelbauten in Rotherbaum unterbrachen noch die Uferlinie; weiter in Richtung Norden setzte sich dann das Grün des Alstervorlands und des Eichenparks durch. An manchen Stellen blitzte das Weiß eines Herrenhauses zwischen den Bäumen hervor. Scharen von Läufern, Radfahrern und Hundebesitzern bevölkerten die Flaniermeilen rund um die Alster.
    »Wir sind nicht die Einzigen, die die Adresse kennen«, sagte ich. »Glaubst du nicht, dass der Raum streng bewacht ist?«
    »In ein paar Stunden werden wir es wissen.«
    »Wir werden in jedem Fall auffallen«, sagte ich. »Die Speicherstadt ist doch eine Touristenattraktion. Sie wird die ganze Nacht über beleuchtet sein.«
    »Das muss kein Nachteil sein«, sagte Maia.
    »Thomas wird enttäuscht sein von dir.«
    »Nur, wenn wir’s vermasseln«, grinste Maia.
    Ich versuchte mir eine Zigarette anzuzünden, aber das Flämmchen des Feuerzeuges hielt dem Wind nicht stand, so sehr ich mich auch anstrengte, mit meiner Jacke einen Windschutz zu formen. Seufzend steckte ich die Packung weg.
    »Du hast was auf dem Herzen«, sagte Maia. »Ich seh’s dir an.«
    »Müssen wir«, fragte ich, »unbedingt schon heute beginnen?«
    »Je schneller, desto besser. Was spricht dagegen?«
    »Ich fühle mich meiner neuen Rolle als Einbrecher noch nicht ganz gewachsen. Können wir nicht wenigstens bis morgen warten?«
    »Was versprichst du dir davon? Willst du trainieren? Das Orakel befragen?«
    »Gönne mir eine Gnadenfrist von einem Tag. Morgen mache ich keinen Rückzieher mehr. Versprochen.«
    »Na gut. Dann gehe ich heute Abend alleine hin und schau mich mal um. Aber morgen musst du mitkommen, sonst war alles vergeblich.«
    Im Schilfgürtel versuchte ein von seinen Instinkten fehlgeleitetes Blesshuhn sein Nest auf dem Steuerruder eines der ruhenden Segelboote zu bauen. Unermüdlich schleppte es im Schnabel Baumaterial herbei. Kaum hatte es einen Halm oder Zweig behutsam auf das Steuerruder gelegt, fiel er ins Wasser und trieb davon. Und schon machte sich das Blesshuhn wieder auf den Weg. Als wären die Halme das Problem und nicht die Schwerkraft.
    »Sisyphos«, sagte ich.
    »Übertreib nicht«, sagte Maia.

 
    Neun
     
    Am frühen Abend setzte ich mich in ein Taxi und fuhr nach Altona. »Wenn du schon in Hamburg bist«, hatte Sebastian am Telefon gesagt, »dann grüß mir das Fischereihafen Restaurant .« Ich grübelte auf dem Beifahrersitz vor mich hin und dachte schon daran, wieder umzukehren. Eigentlich hatte ich keinen Hunger. Und auch keine Idee, was ich mit meiner Schonfrist anfangen sollte. Außerdem bestand die

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