Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Gefahr, Lohmeier und Isabel über den Weg zu laufen. Keine sehr aufmunternde Vorstellung.
Als der Hafen mit seinen hell erleuchteten Docks, Kränen und Landungsbrücken vor der Windschutzscheibe auftauchte, beschloss ich, etwas zu versuchen, was mir schon lange nicht mehr gelungen war: einen Abend ohne schwarze Gedanken zu verbringen. Vielleicht war es ja mein letzter in Freiheit.
Im Restaurant gesellte ich mich zu den Mutigen, die den Winden trotzten und auf der Terrasse saßen. Es waren ausschließlich Pärchen. Der Kellner umkreiste eine geraume Weile meinen Tisch und machte keine Anstalten, eine Bestellung entgegenzunehmen. Dann kam er doch auf mich zu.
»Erwarten Sie noch jemanden?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich, »das heißt, nein. Ich speise allein.«
Das war an einem dermaßen romantisch aufgeladenen Ort eher ungewöhnlich. All diese Schiffe, Fische, Hummer und Hafenbecken: Solche Plätze hatte man zu meiden, wenn man nicht zu zweit war. Ich beschloss, den Kellner wenigstens einnahmenseitig nicht zu enttäuschen. Er lächelte mir verschwörerisch und ein wenig mitleidig zu, als ich zwei kleine Beck’s auf einmal orderte. Und drei Gänge.
In meiner Sakkotasche vibrierte es.
»Ich weiß jetzt, wo die Bilder sind.« Maia. »Im obersten Stockwerk.«
»Bist du sicher?«
»Nicht ganz. Aber alle anderen Eingänge führen in Firmendepots oder Teppichlager, glaube ich. Wir müssen es riskieren.«
»Was ist mit der Tür? Der Bewachung?«
»Wir scheinen Glück zu haben. Stabile Stahltür, aber altmodisches Schloss. Und kein Wächter weit und breit. Soweit ich es von außen beurteilen kann, wurde nicht einmal eine Alarmanlage installiert.«
»Dann steht uns ja ein Spaziergang bevor. Kommst du noch auf ein Glas ins Fischereihafen Restaurant ?«
»Nein. Ich habe noch einen Termin.«
»Mit einem deiner Hobbyeinbrecher?«
»Sportsfreunde der Sperrtechnik«, korrigierte Maia.
Ich unterbrach die Verbindung, lehnte mich zurück und versuchte die Aussicht auf den Hafen auf mich wirken zu lassen. Beruhigend, wie ich hoffte.
Das Gehämmer der Dockarbeiter mischte sich mit dem Geschrei der Möwen. Ein Schaufelraddampfer fuhr vorbei, er hieß Mississippi Queen . Auf dem Kai wurde ein Gebäude hochgezogen. Wenn die gewaltigen Kräne ihre Arme schwenkten, zitterte der Himmel über der Norderelbe ein bisschen mit.
»Docklands«, sagte der Kellner. »Soll aussehen wie ein Schiff, wenn es fertig ist. Ein Schiff voller Büros. Keine Ahnung, wozu das gut ist.« Er servierte mir in elegantem Schwung mit einer Hand zwei volle Biergläser und verschwand, ohne meine Antwort abzuwarten.
»Ich habe mich schon so an dich gewöhnt«, sagte hinter mir eine Stimme, ich drehte mich um, es war ein dicker Herr mit Glatze und grauem Schnurrbart. Er hatte sich weit über den Tisch gebeugt, seine Krawatte baumelte gefährlich nahe über seinem Salat. Die blonde Frau ihm gegenüber saß hoch aufgerichtet auf ihrem Stuhl und rauchte. Ich hätte gerne gewusst, wie sie auf dieses aparte Kompliment reagiert hatte, aber ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Antwort gab sie jedenfalls keine.
Es gab zwei Arten von Kränen. Die für die Docklands waren dünn und gelb und sahen aus wie die Kräne zu Hause. Die Kräne am anderen Elbufer waren Wesen mit vier stämmigen Beinen und dicken, hochgereckten Hälsen. Dafür ohne Kopf. Sie warteten auf den Befehl, gemeinsam loszumarschieren. Auf mich zu. Eine Roboterarmee, kurz vor dem Angriff.
»Bitte sehr, Ihr Labskaus«, sagte der Kellner, und ich erschrak und verschluckte mich an meinem Beck’s.
Ich saß und aß vor mich hin. Die Dunkelheit kam schnell; das Hämmern hörte auf, die Kräne am Kai bewegten sich nicht mehr. Es wurde finster und hell zugleich. Der Widerschein der Lichter zitterte auf dem Wasser. Ein Containerschiff trieb heran, die Scheinwerfer vor den Docks verwandelten seinen Rumpf in eine riesige goldlackierte Nussschale. Die Hafenkräne gegenüber begannen zu leuchten. Vier von ihnen bildeten eine Lichtskulptur. So konnte ich erkennen, was vorging. Unter ihren Hälsen fuhr eine Vorrichtung hin und her. Und dann von unten nach oben. Unten stapelten sich Hunderte von Quadern. Wurden nach oben gehievt, einer nach dem anderen. Alles klar: Containerverladung. Nichts Bedrohliches.
Donald Sutherland dachte auch, das Schiff am großen Hafen sei die Rettung. In Body Snatchers. Jetzt konnten sie endlich flüchten, er und diese Frau, deren Namen ich mir nie merken konnte, weder den der Figur
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