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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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noch den der Schauspielerin. Die Außerirdischen, die via Meteoriten als Pflanzensamen auf die Erde gekommen waren, bemächtigten sich der Körper, wenn sie schliefen. Drangen in sie ein, in filigranen Fäden, die nachts aus den eingesammelten Orchideen auf den Nachttischen krochen, fraßen sie von innen auf und verwandelten sie in ausgehöhlte Abbilder ihrer selbst. Niemand konnte danach den Unterschied erkennen. Wer war das, den ich da grüßte, umarmte, küsste? Mein bester Freund, meine Frau, oder eine seelenlose Hülle? Wer immer es war, er konnte er selbst sein oder auch nicht. Und Leonard Nimoy, Psychiater des Helden, vermochte immerfort überzeugend zu trösten: alles nur Einbildung, Hysterie. Innerhalb seiner Logik war das auch in Ordnung. Er war schon verwandelt.
    Zuerst sah Donald Sutherland nur das Schiff. Dann entdeckte er die Container, Hunderte davon, die an Bord gezogen wurden. In jedem der Container stapelten sich unzählige der Pflanzen. Sie sahen aus wie riesige Käferleiber ohne Beine und Köpfe. Die Brut schickte sich an, auf Reisen zu gehen. Die Welt war verloren.
    Dann kam noch mein Aal. »Wünsche, wohl zu speisen«, sagte der Kellner. Falls es noch der Kellner war. Vielleicht hatte mich ja gerade eine außerirdische Orchidee bedient. Lustlos stieß ich meine Gabel in die Fischleiche, dachte an die kretische Dorade und ließ die Container nicht aus den Augen.
    Plötzlich fühlte ich mich auf dieser Terrasse dermaßen verloren, dass ich mir wünschte, Bishop, der Bordingenieur aus Aliens , käme mit seiner Raumfähre vorbeigeflogen, um mich zu retten. Wenn man schon Menschen nicht trauen kann, dann wenigstens Androiden. Oder war Bishop ein Replikant? Isabel hatte mir den Unterschied mehrmals zu erklären versucht, ich hatte ihn auch verstanden, glaube ich – aber nun konnte ich mich nicht mehr daran erinnern. Die düsteren Industrieruinen und die bodenlosen Schächte aus Aliens hatte ich jedoch nicht vergessen. Schon spürte ich die Erschütterung des direkt aus der Hölle herauffahrenden Liftes. Tief unter den Docks war James Camerons Mutter aller Aliens ins Abteil gekrochen und fuhr zu mir nach oben, aus den Abgründen des Hamburger Hafenbeckens mitten hinein in meinen Aal in Dillrahmsauce.
    »Noch’n Beck’s?«, fragte der Kellner, mehr besorgt als geschäftstüchtig.
    »Nein, nein«, sagte ich, »lieber nicht.«
    Ripleys Welt war mir eingebrannt. Ich musste mich wehren, ich war doch kein Kalb, das dazu verdammt war, für den Rest seines Lebens mit diesen Brandzeichen herumzulaufen. Wie das funktionieren sollte, war mir allerdings ein Rätsel. Wie löscht man Filme aus dem Gedächtnis? Einfach mit einem Messer abkratzen von der Hirnrinde, wie Bacon misslungene Farbspritzer von seinen Bildern?
    Mich fröstelte. Ich verzichtete aufs Dessert, bestellte die Rechnung und spendierte der Orchidee ein unangemessen hohes Trinkgeld.
    Heute würde Bishop nicht mehr kommen.
     
    Der Kellner bot an, mir ein Taxi zu rufen, aber ich ging lieber ein paar Schritte zu Fuß. Der Elbwind fuhr mir durch die Haare. Es roch nach verbrannter Holzkohle und Schiffsdiesel. Hoch über dem Wasser, auf einer bizarren Haltevorrichtung, hing ein orangefarbenes Boot senkrecht in der Luft. Freifallanlage , erklärte ein Schild. Um den Fall unbeschadet zu überstehen, sind Bootsform, Eintauchwinkel und Innenausstattung speziell konzipiert. Kurzfristig können Kräfte bis zu 7   G auftreten. Zum Vergleich: Beim Start eines Space Shuttles sind es höchstens 3   G.
    Ich fragte mich zwangsläufig, mit wie viel G ich momentan nach unten unterwegs war. Unser Plan für morgen erinnerte mich jedenfalls stark an eine Freifallanlage.
    Wir konnten nur hoffen, dass dann wenigstens der Eintauchwinkel in die Katastrophe stimmte.
    Hinter dem Gelände der Rudergemeinschaft Hamburger Gastwirte e. V . entdeckte ich eine Bootsanlegestelle. Ein Stück der Heimreise konnte ich also per Schiff auf der Elbe zurücklegen. Der Ponton erzeugte im Wind Geräusche wie die Äolsharfe eines Titanen. Der riesige Kopf eines Löwen glitt heran. Ich dachte schon an eine venezianische Galeere, aber der Löwe war keine Galionsfigur, sondern nur eine Werbung für The Lion King auf der Vorderfront der Hafenfähre, die nun anlegte. Der Steg wurde ausgeklappt; ich war der Einzige, der an Bord ging. An Deck der Fähre blies der Wind so stark, dass ich die Kapuze meiner Jacke aufsetzte. Das Fährschiff in die Gegenrichtung, nach Finkenwerder und

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