Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Teufelsbrück, kam uns entgegen und wurde vom Kapitän mit einem Signalton begrüßt, der mich zusammenzucken ließ. In Dock 11 von Blohm + Voss lag ein gewaltiges Schiff in frisch lackiertem Rot. Rot wie die Fingernägel Isabels in meinen unbotmäßigen Träumen. SKS Saluda stand in weißen Lettern auf dem Bug; darüber leuchtete ein fahlgelber Dreiviertelmond. An Steuerbord näherte sich ein Fabriksgelände, auf dem zwölf ovale Stahltanks, angestrahlt von blauem Licht, in den Abendhimmel ragten. Sofort befand ich mich wieder mittendrin in Aliens ; ich sah das Nest der Kreaturen, in blaues Licht getaucht, bewacht von der Königin. Gleich würden die Eier aufplatzen und neugeborene, krakenähnliche Geschöpfe jedem ins Gesicht springen, der ihnen zu nahe kam, und kein Arzt der Welt konnte sie dann noch vom Kopf des Opfers schneiden. Zur Vorsicht zog ich die Kapuze ein wenig tiefer ins Gesicht.
Bei den St. Pauli Landungsbrücken ging ich schwankenden Schritts von Bord und stieg in ein Taxi.
Rücklings auf dem Hotelbett liegend, gelang es mir, die Bilder aus Isabels Filmen von meiner inneren Leinwand zu verscheuchen. Ich strengte mich an, meine Gedanken auf den nächsten Tag zu konzentrieren. Sollten wir in dem Speicherboden von Kehrwieder 4 tatsächlich auf einen echten Bacon stoßen? Wenn ja, musste das Bild zwischen 1951 und 1973 entstanden sein, so viel hatte ich schon herausgefunden. Aber was konnte »verschollen« in diesem Zusammenhang bedeuten? Möglicherweise handelte es sich um ein Porträt, von dem man wusste, dass es existierte oder existiert hatte, das sich aber in keiner bekannten Sammlung mehr befand. Vielleicht war es sogar in Ronald Alleys Catalogue raisonné enthalten, der das Werk Bacons bis 1963 dokumentierte und auch Schwarzweißfotografien von Gemälden enthielt, die Bacon später zerstört hatte. So war eines der eindringlichsten Papstbilder, Study after VelazquezI aus dem Jahr 1950, das bei Alley unter »Zerstörte Bilder« aufgeschienen war, nach Bacons Tod auf spektakuläre Weise wieder aufgetaucht. Bacon war überzeugt davon, dass er es vernichtet hatte; in diesem Fall war er sogar, was selten vorkam, unglücklich mit dieser Entscheidung. Bacon habe die Zerstörung von Study after VelazquezI ihm gegenüber wiederholt bereut, erzählt Sylvester. Das Bild war eine der drei Studien zu Papst Innozenz X., die Bacon für seine Ausstellung in der Hanover Gallery 1951 vorgesehen hatte; zwei davon hatte er fertiggestellt, das dritte kam nicht zum Abschluss, und so zog er am Ende die geplante Serie zurück und zerstörte, laut Alley, die beiden vollendeten Papstbilder im Frühjahr 1951 nach der Rückkehr von seiner Afrika-Reise. Nach Bacons Tod 1992 wurde Study after VelazquezI bei einem Lieferanten für Leinwände in Chelsea gefunden; Bacon hatte ihm in den frühen Fünfzigerjahren wiederholt »misslungene« Bilder geschickt – mit dem Auftrag, neue Leinwände auf die Keilrahmen zu ziehen. Offenbar hatte Bacon aber keine Anweisungen erteilt, was mit den verworfenen Gemälden zu geschehen hatte. Der Lieferant hatte sie vorsichtig von den Keilrahmen abgelöst, aufgerollt und aufgehoben. Nicht auszuschließen, dass das Freud-Porträt der Sammlung Ribbeck auch eingerollt in einer Rahmenwerkstatt die Jahrzehnte überdauert hatte. Wenn es denn wirklich ein Bild war, das außer den Ribbecks, etwaigen früheren Besitzern (und dem Einbrecher) kein Mensch je gesehen hatte, musste es auf der Basis eines geheimen privaten Verkaufs in Ribbecks Hände geraten sein – ohne Zwischenschaltung eines Auktionshauses. Wenn es hingegen ein bereits bekanntes, in Ausstellungskatalogen oder Bildbänden verzeichnetes Gemälde war, musste es als gestohlen gemeldet sein – aber ich hatte mich schon in Wien stundenlang durch die Daten des Art-Loss-Registers gearbeitet und keinen Hinweis gefunden.
Schlafen würde nicht leicht sein in dieser Nacht. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere, stand zwischendurch auf, lief kreuz und quer durchs Hotelzimmer, nahm mir ein Pils aus der Minibar und legte mich wieder hin. Vergeblich. Sleep no more! Die Szene aus Macbeth , die Bacon so sehr geliebt hatte, geisterte mir im Kopf herum. Life’s but a walking shadow; a poor player … it is a tale / Told by an idiot, full of sound and fury, / Signifying nothing.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden sank ich in einen Erschöpfungsschlaf.
To-morrow, and to-morrow, and to-morrow.
Zehn
Wir
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