Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
vereinbarten das Hotelfoyer als Treffpunkt. Zwanzig Uhr. Diesmal war ich schon um fünf Minuten früher da, um mir anzügliche Bemerkungen zu ersparen. Als Maia die Treppe herunterkam, blieb mir kurz die Luft weg. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, Rollkragenpullover, Baumwollhose, kniehohe Stiefel. Ihre Haare waren zurückgebunden. Sie hatte sich geschminkt, was nicht oft vorkam. In der rechten Hand trug sie eine große Ledertasche.
»Erwartest du ein Fernsehteam?«, fragte ich.
Maia ignorierte meine Frage und legte die Tasche vor uns auf den Tisch.
»Was ist da drin?«
»Bis jetzt nur Werkzeug«, sagte Maia. »Aber die Tasche ist groß genug für ein Format von, sagen wir mal, 35,5 mal 30 Zentimeter. Zuzüglich Goldrahmen, wie bei Bacon obligatorisch.«
Wir nahmen den Hinterausgang des Hotels, spazierten in die Lange Reihe und warteten auf einen Bus der Linie 6. Die Haltestelle, an der wir aussteigen mussten, hieß »Auf dem Sande«.
Die Speicherstadt war in unheimliches Licht getaucht. Wir standen inmitten einer menschenleeren Backsteinwelt voller erleuchteter Giebel, Türmchen, Erker, Windenhauben und Spitzdächer. Kathedralen des Handels. Die Metallkonstruktionen der Brücken spiegelten sich im schwarzen Wasser der Fleete. Die Speicherblöcke wurden von unten angestrahlt. Scheinwerfer waren an Eisenstangen montiert, die knapp über den Fleeten aus den Gebäuden ragten. Hinter den meisten Fenstern brannte Licht. »Tolles Lichtdesign«, sagte Maia. »Nicht nur schön, auch praktisch. Vor allem für uns. Ich glaube nicht, dass das Licht unserer Taschenlampe hier auffällt.« Wir überquerten das Brooksfleet Richtung Kehrwieder und standen vor dem Hamburg Dungeon. Klaus Störtebeker – Hinrichtung täglich zwischen 11 und 18 Uhr verkündete ein Schild. Direkt neben dem Dungeon lag das Miniatur-Wunderland , ein Spielzeugmuseum. Kehrwieder3. Die aktuelle Ausstellung trug den Titel Die Dachbodenbande . »Sie warten schon auf uns«, lachte Maia. Ein paar Schritte noch, und wir standen vor Kehrwieder 4. Eine grüne Holztür, versperrt. Kein Eingang stand auf einem Schild. Maia zeigte nach oben. »Siehst du den Runderker?« Ich nickte. »Da müssen wir hin.« Bevor es mir gelang, eine Bemerkung über die verschlossene Tür zu verlieren, hatte Maia schon einen Metallgegenstand aus der Tasche gezogen und ins Schloss gesteckt. Nach zwei, drei Drehungen sprang die Tür auf. Maia zog mich ins Treppenhaus. Schweigend stiegen wir die steinernen Stufen nach oben. Die Wände waren dunkelgrün getüncht. Es roch nach Kampfer und Kaffee. Ab dem ersten Halbstock wurde die Treppe steiler; wir mussten uns beim Aufstieg am Holzgeländer festhalten. Neben dem Treppenaufgang stapelte sich Gerümpel. Beinahe wäre ich über eine Kiste mit alten Zeitungen gestolpert. In jedem Halbstock befanden sich zwei graue Stahltüren. Keine Namensschilder, keine Klingeln. »Die Türen sehen alle gleich aus«, sagte ich. »Woher weißt du, welche die richtige ist?«
»Instinkt«, sagte Maia. »Verlass dich auf mich.«
Im obersten Stockwerk gab es nur noch eine Tür. Maia atmete durch, stellte ihre Tasche ab, öffnete sie und nahm eine Taschenlampe und ein schwarzes Etui heraus. »Pass darauf auf«, sagte sie und drückte mir die Lampe in die Hand. »Ist ein Originalstück von Scotland Yard.«
»Geschenk von Thomas?«, fragte ich.
Maia nickte. »Richte bitte den Lichtstrahl genau auf das Schloss.«
Sie kniete sich vor die Tür, legte das Etui auf den Boden und klappte es auf. In einem schwarzen Futteral steckten mindestens fünfzehn silbrig schimmernde spitze Gegenstände.
»So sehen also Dietriche aus«, sagte ich.
Maia lachte. »Ein Pickset. Aus Uhrfeder-Stahl. Spanner, Hooks, Tropfenhaken, Schlangen – alles da. Hat mich eine Flasche Chablis in einer unverschämt teuren Bar am Jungfernstieg gekostet.«
Maias Kenntnisse wurden mir langsam unheimlich. Ich nahm mir vor, sie bei Gelegenheit zu fragen, womit sie sich ihr Studium finanziert hatte. Sie entnahm dem Futteral ein rechtwinklig gebogenes Werkzeug, das aussah wie ein plattgedrückter Inbusschlüssel, und schob das kurze Ende in den Schlüsselkanal des Türschlosses. »Ein guter Anfang«, sagte sie. »Der Spanner passt.« Sie fischte sich eine Art Schraubenzieher mit nach unten gebogener Spitze aus dem Etui und versuchte ihn ins Schloss einzuführen. Es gelang nicht, und Maia schleuderte ihn in einem kurzen Auflodern von Zorn das Treppenhaus hinunter. Mit dem nächsten
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