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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Gerät, dessen Spitze die Form eines Tropfens hatte, lief es besser. Mit der rechten Hand drückte sie den Spanner nach unten, mit der linken stocherte sie im Schlüsselkanal herum. Dabei entstanden Geräusche, die mich nervös machten. Offenbar war es doch kein Spaziergang. Ich stieg von einem Fuß auf den anderen. Schließlich wagte ich zu fragen: »Dauert es noch lange?«
    »Das ist ein Stiftzuhaltungsschloss«, sagte Maia ungehalten. »Ich muss jeden Stift einzeln hinunterdrücken. Das geht nicht so schnell wie im Kino.«
    Die Beweglichkeit ihrer rechten Hand erstaunte mich. Hatte sie Fortschritte in der Rehabilitation gemacht? Oder lag es nur an der Art der Tätigkeit? Ein Bild zu malen, verlangte wohl feinere Bewegungsabläufe im Handgelenk als das Knacken eines Schlosses. Da dieses Thema für Maia so heikel war, wagte ich aber nicht, sie darauf anzusprechen.
    Als sich der Schließzylinder endlich mit dem Spanner drehen ließ und die Tür lautlos nach innen schwang, entschlüpfte Maia ein lautes »Ja!« Von sich selbst erschreckt, hielt sie sich kurz den Mund zu.
    Sie war schon ein paar Schritte vorausgegangen, ehe sie bemerkte, dass ich mich nicht von der Stelle gerührt hatte.
    »Was ist los?«
    »Wir sind nicht Bonnie und Clyde«, sagte ich.
    »Nein«, sagte Maia und nahm mir die Taschenlampe aus der Hand. »Und weißt du auch, warum? Weil wir uns nicht erwischen lassen. Jetzt komm schon. Stell dich nicht so an.«
    Langsam bewegte ich mich vorwärts. Der Strahl der Taschenlampe glitt durch den Raum. Der Boden bestand aus breiten, genagelten Dielenbrettern, die erfreulicherweise nicht knarrten. Der Geruch erinnerte mich an die Dachböden meiner Kindheit; ein geheimnisvolles Gemisch aus altem Holz und frischer Wäsche. Neben den alten Stützpfeilern und Querbalken trugen waagrechte und senkrechte Eisenverstrebungen die Decke. Zwischen den Balken hingen die Silberrohre einer alten Kaffeerösterei. Die Wände bestanden aus weiß getünchten Ziegeln, und an ihnen hingen – keine Bilder.
    »Hier ist nichts«, sagte ich, mehr erleichtert als enttäuscht. Maia bewegte sich zur Rückwand des Raumes und leuchtete nach rechts. »Aber hier«, sagte sie. Der Speicherboden hatte einen L-förmigen Grundriss. Im hinteren Teil standen zwei vergitterte Rollwägen von unterschiedlicher Größe, auf deren Ladeflächen die Bilder geschlichtet waren, jeweils mit blauen Planen vor Staub und Licht geschützt. Jedes der Rollgestelle stand auf einem Teppich. Maia beugte sich hinunter und strich mit der Hand über die Textur des größeren. »Der hier«, sagte sie, »ist mehr wert als deine Wohnung.« Sie stand auf und schlug die Plane zurück. Die Bilder auf dem großen Rollwagen hatten ungefähr die Ausmaße von zwei mal zweieinhalb Meter. Als Höchstwert; es waren auch kleinere dabei. Insgesamt waren es weniger Bilder, als ich erwartet hatte.
    »Hilf mir mal«, sagte Maia. Mit vereinten Kräften hoben wir das erste Bild vom Wagen. Es war so schwer, dass wir es beinahe fallen ließen. Maia klopfte sich den Staub von der Hose und richtete die Taschenlampe auf die Leinwand.
    Drei verschiedene rechteckige Farbflächen, an den Rändern verschwimmend, ineinanderfließend. Weiß, violett und rot. Auf orangem Hintergrund. Es sah aus, als würden die Flächen frei im Raum schweben. Mir lief es kalt über den Rücken. »Noch mehr wert als der Teppich«, flüsterte Maia. Sie setzte sich auf den Boden und betrachtete das Bild. Sie schwieg lange, dann reichte sie mir die Hand und ich half ihr, aufzustehen. »Mein erster Rothko«, sagte sie leise.
    Ich wollte zur Eile drängen, aber Maia war unbeirrbar. Sie winkte mir, und wir hievten das nächste Bild vom Rollgestell. Es war etwas kleiner, etwa 180 mal 200 Zentimeter.
    Rot, Gelb, Blau und Orange waren in fließenden Bewegungen auf die Leinwand aufgetragen worden. Obwohl das Bild abstrakt war, schien es mit Lebewesen bevölkert. In der Mitte erhob sich ein blauer Vogel, der den Körper einer Rakete besaß. Aus der linken unteren Seite des Bildes ragte der Kopf oder der Schädel eines Raubtiers. Es war nicht zu entscheiden, ob es lebte oder tot war. Aber die obere Zahnreihe war klar zu erkennen. Kein Pflanzenfresser. Aus dem Raubtier heraus floss eine Gestalt in leuchtendem Zinnoberrot – vielleicht ein Schwan, der seinen Kopf zu Boden senkte. Auch der Schwan konnte schon tot sein, denn an seinem Hals hing eine blaue Kobra. Am rechten Bildrand saß ein hellroter Vogel auf einer blauen Stange.

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