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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Angeblich möchte er es einer alten Witwe in Blankenese abkaufen. Ich glaube aber nicht, dass sie existiert.«
    Thomas lachte, dass der Tisch erzitterte. »Und ob sie existiert! Lady Catherine Wiltshire. Eine faszinierende Dame; aus britischem Adel. Sie und ihr Mann Leonhard Blohm, ein Hamburger Werftbetreiber, waren leidenschaftliche Sammler, in der gesamten Kunstwelt geschätzt. Ich hatte mehrmals das Vergnügen, einen Abend mit ihnen zu verbringen. Nach dem Tod ihres Mannes vor einem Jahr führte Catherine die Sammlung mit großem Geschick alleine weiter. Vor einem Monat beschloss sie, ihre Bilder zu verkaufen, um ihren Lebensabend in Neuseeland zu verbringen. Ein alter Kindheitstraum von ihr.«
    »Wenn es die alte Dame also wirklich gibt«, sagte Maia, »dann könnte Isabel doch auch in anderen Punkten die Wahrheit gesagt haben. Möglicherweise will Lohmeier wirklich nur der Lady ein Bild abkaufen. Glaubst du, sie könnte ein Gemälde von Lucian Freud besitzen?«
    »Schon möglich«, sagte Thomas. »Vielleicht ein anderes Werk. Aber sie dürfte kaum eines der meistgesuchten gestohlenen Bilder der Welt in ihrer Sammlung haben.«
    »Dann ist auch das eine Sackgasse«, sagte Maia.
    Während des Gesprächs hatte Thomas mit Genuss Teller um Teller leergeräumt, als hätte er einen Schwarm Piranhas in seinem Magen zu versorgen. Als er nach der großen Käseplatte auch noch den gemischten Dessertteller nach Art des Hauses spielend bewältigt hatte, bestellte er drei Marillenschnäpse und ließ es sich nicht nehmen, die Rechnung zu begleichen. Die Art, wie er dann seine Körpermasse aus dem einzwängenden Mobiliar schälte und in die Höhe hievte, war ein Triumph der individuellen Eleganz über die unerbittlichen Zurichtungen des Alltags.
    Maia reichte ihm den Regenmantel; er drapierte ihn über seinen rechten Arm und legte den linken um Maias Schultern.
    »Übrigens«, sagte er, »ich habe am Rande eines Kongresses in Exeter einen erstaunlichen Mann kennengelernt. Er ist Chirurg und Spezialist für schlecht verheilte Knochenbrüche. Er lebt davon, die Kunstfehler seiner Kollegen zu reparieren. Es heißt, nach seinen Operationen würden die Lahmen in Scharen von den Pritschen springen. Ich habe dir seine Karte …«
    »Ich will davon nichts hören«, sagte Maia und knallte die Tür hinter uns zu, als wären wir gerade in letzter Not einer zwielichtigen Spelunke entkommen.

 
    Achtzehn
     
    Kaum war ich zu Hause, stellte ich Teewasser auf und ging ins Netz. Das erste Bild, auf das ich stieß, hieß Drawing of Francis Bacon , 1970 . Freud hatte das runde Gesicht in ein paar Strichen aufs Papier geworfen; Bacons Züge wirkten verärgert, er griff sich mit der rechten Hand an den Kopf, als hätte er gerade eine unfassbare Dummheit mit anhören müssen. Auf der Homepage der Tate Gallery gab es eine winzige Abbildung des geraubten Porträts mit dem Hinweis: Erworben 1952 . Kein Wort über den Diebstahl. Auf einer Seite mit dem rätselhaften Namen leninimports entdeckte ich schließlich eine Wiedergabe des Bildes in angemessener Auflösung. Ich drehte den Bildschirm des Laptops, bis der Sichtwinkel optimal war, goss mir meinen Tee ein und zündete mir eine Zigarette an.
    So sah es also aus, das berühmte Porträt. Bacon blickte zu Boden; aus den halb geöffneten Augenlidern wuchsen lange, zarte Wimpern. Das Haar wirkte gefärbt, in einem dunklen Blond; eine Strähne fiel Bacon in die Stirn wie auf so vielen Fotos. Die S-Form der linken Augenbraue korrespondierte mit der Form der Strähne. Die rechte Gesichtshälfte lag im Schatten, die linke glänzte, auf dem Nasenrücken schimmerte ein feiner Film aus Fett oder Talg. Die Oberlippe war gegenüber der Unterlippe leicht verschoben, neben dem linken Mundwinkel wölbte sich eine Schwellung. Der Gesichtsausdruck schien sich binnen Sekunden zu verändern: in einem Moment noch herablassend und hochnäsig, im nächsten bitter und melancholisch. Die Gesichtshaut war an manchen Stellen porös und durchlässig; dahinter schien es eine Lichtquelle zu geben, die den Kopf von innen heraus leuchten ließ wie einen dämonischen Lampion. Selbst die grauen Schatten auf der Stirn flackerten bedrohlich.
    Vom ersten Augenblick an war mir nachvollziehbar, dass jemand dieses Bild um jeden Preis besitzen wollte. Auf einer Liste, die die meistgesuchten Kunstwerke der Gegenwart aufzählte, stand das Porträt hinter dem verschwundenen Vermeer aus dem Bostoner Gardner Museum und Picassos Portrait of Dora

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