Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Museumssaal verpflanzt. Lady Catherine deutete mir mit einer Geste, Platz zu nehmen. Ich ließ mich in einen der Sessel fallen. Ein ungewöhnlicher Geruch lag in der Luft, eine Mischung aus Zigarrenrauch, Leder und Erdbeeren.
»Sie kommen gerade rechtzeitig zum Cream Tea«, sagte sie, setzte sich mir gegenüber auf das Sofa, nahm eine silberne Glocke vom Tisch und klingelte. In der Tür erschien eine großgewachsene junge Frau in einem schwarzen Kleid mit weißer Schürze. Sie schob einen Servierwagen vor sich her.
»Das ist Natalie, meine Haushälterin.«
»Sehr erfreut, Valentin«, sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen. Sie ergriff sie und machte zu meinem Erstaunen einen Knicks, als wäre sie eine Tennisspielerin und ich der Herzog von Kent.
»Sie mögen doch Tee?«, fragte Lady Catherine.
Ein paar Sekunden lang malte ich mir aus, was geschehen würde, wenn ich ablehnte. Hatte es in der Geschichte der englischen Teekultur je ein Mensch gewagt, auf diese Frage mit nein zu antworten? Die kosmische Ordnung würde aus den Fugen geraten, Inselreiche zerfielen zu Asche und Staub. Ich sah Flaggschiffe Ihrer Majestät kieloben in tosenden Wassern brennen –
»Tee?«, wiederholte Lady Catherine, diesmal mit Nachdruck.
»Ja, sehr gerne«, sagte ich schnell.
Natalie goss uns ein und stellte ein Schälchen mit braunem Würfelzucker und zwei Zangen, ein Kännchen Milch, zwei Schalen mit je einer weißen und einer roten Masse und einen Korb mit duftendem Gebäck vor uns auf den Tisch.
»Greifen Sie zu«, sagte Lady Catherine, »die Scones habe ich selbst gebacken, die Erdbeermarmelade stammt von Natalies Mutter, und die Clotted Cream ist zuckerfrei.«
Als sie mein Zögern bemerkte, griff sie nach einem der runden Kuchen, schnitt ihn in der Mitte auseinander und bestrich eine Hälfte zuerst mit dem steifgeschlagenen Obers, dann mit Erdbeermarmelade. Ich tat es ihr gleich, sie wartete; dann bissen wir gleichzeitig in unsere Scones. Als ich ein wonniges Geräusch von mir gab, lächelte sie.
»Also, Mr. Valentin«, sagte sie. »Was führt Sie zu mir?«
»Ich habe sehr viel von Ihrer Sammlung gehört«, sagte ich.
»Wollen Sie kaufen?«, fragte sie.
»Ja«, stammelte ich, »das heißt, nein, ich verfüge leider nur über beschränkte Mittel …«
»Also stehlen«, sagte sie ernst und lachte erst, als sie meinen erschrockenen Gesichtsausdruck sah.
»Seien Sie unbesorgt«, sagte sie. »Sie sind nicht der Einzige, der mit leeren Taschen kommt und trotzdem meine Bilder sehen will. Ich zeige sie Ihnen gerne.«
Sie stockte. »Es ist hier sehr still geworden seit Leonhards Tod vor einem Jahr.«
Sie wandte ihren Kopf, und ich folgte ihrem Blick. Neben einer mysteriösen Stadtlandschaft, die von de Chirico sein musste, hing das Porträt eines jungen Mannes mit ausgeprägter Adlernase, gleichzeitig en face und im Profil, das mich an die Farbgebung des berühmten Dora-Maar-Bildes mit Katze erinnerte. Leonhard Blohm als Jüngling, porträtiert von Picasso? Nein, das war ausgeschlossen.
»Verzeihen Sie«, sagte ich, »wenn ich Sie so direkt frage, aber warum wollen Sie das hier eigentlich alles aufgeben?«
»Sie werden es vielleicht ein wenig vermessen finden«, sagte sie, »aber ich möchte noch einmal neu anfangen. Ich bin zwar schon 76, aber Kraft habe ich noch genug.« Sie nahm die Teekanne vom Tablett und schenkte mir nach. »Außerdem bleibt mir keine andere Wahl. Alles hier erinnert mich an meinen Mann, und entgegen der landläufigen Meinung wird der Schmerz durch die Zeit nicht gelindert. Also versuche ich es jetzt an einem anderen Ort, möglichst weit weg von hier. Aber erst muss jedes einzelne Bild in würdige Hände wechseln.«
Lady Catherine erhob sich und streifte ein paar Krümel von ihrem Kleid.
»Schauen Sie sich in Ruhe um. Ich bin in meinem Arbeitszimmer. Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen.«
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, befiel mich lähmende Hilflosigkeit. Mir war nicht mehr klar, was ich eigentlich vorhatte. Es war absurd, hier nach dem verschollenen Porträt zu suchen; und meine unlauteren Absichten waren angesichts des Charmes der alten Dame noch beschämender geworden. Ich beschloss, in Hinkunft der Vernunft die Oberhoheit über meine Entscheidungen zu übertragen, anstatt mich von galaktischen Nebeln leiten zu lassen. In einem Zug trank ich meinen Tee aus und begann einen Rundgang durch den Salon.
Soweit ich sehen konnte, war die Sammlung chronologisch angeordnet
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