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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Möglichkeiten, die mir verblieben waren, im Kopf durch. Thomas hatte vor seiner Rückreise nach Cambridge noch zwei Abende mit Maia verbracht. Beim Thema Lucian Freud hatte er sich, wie Maia mit einem bedauernden Lächeln berichtet hatte, äußerst bedeckt gehalten. Es war auszuschließen, dass ich Thomas mehr Informationen entlocken konnte als sie. Auch das Verschweigen der Protokolle war ein deutliches Zeichen, wo er seine Grenzen zog. Mich an Lohmeiers Fersen zu heften, verbat mir mein Stolz. Das Ausmaß an Verachtung, das mir Isabel jetzt schon entgegenbrachte, war schlimm genug. Was geschehen würde, sollte sie mich ein zweites Mal ertappen, wagte ich mir nicht auszumalen. Es war das Klügste, die beiden in Ruhe zu lassen, wie Isabel es verlangt hatte.
    Trotzdem ließ mich der Gedanke an die letzte Eintragung, so unbedeutend sie auch sein mochte, nicht los. Es gelang mir nicht, der Vernunft zu folgen und einfach aufzugeben. Der Sog, der von der kleinen Kupfertafel ausging, war zu stark.
    Um Mitternacht stand ich auf dem Balkon, den Feldstecher in der Hand, über mir das Sternbild der Leier. Mittlerweile hatte ich mich kundig gemacht und wusste, dass ich die Wega im Winter vergeblich gesucht hatte. Nun aber strahlte sie in dem Himmelsgeviert, das die Dächer frei ließen, heller als alle anderen Gestirne. Zwischen den Basissternen der Leier konnte ich sogar die Umrisse des Ringnebels erkennen. Er war das Relikt der Explosion eines massereichen Sterns vor 20000 Jahren. Befeuert von seinem diffusen Licht, traf ich die Entscheidung, noch einmal nach Hamburg zu reisen. Ich würde dem Scheitern eine Form geben und Lady Catherine Wiltshire in ihrem Haus in Blankenese einen Besuch abstatten.
    Doch dieses Mal durfte ich Maia nicht mit hineinziehen.

 
    Einundzwanzig
     
    Auch in Lady Catherines Garten fanden sich die violetten Blüten.
    Ihr Haus lag an einer der Blankeneser Strandtreppen, die zwischen den Villen der Hamburger Patrizier hindurch zur Elbe hinunterführten. Es war ein zweistöckiger, unverputzter Backsteinbau mit einer Dachterrasse, auf der zwischen überquellenden Blumenkisten gerade noch ein schmaler Liegestuhl und ein Sonnenschirm Platz fanden.
    Ich hatte mir ein paar Begrüßungsformeln zurechtgelegt, aber als Lady Catherine die Tür öffnete, lösten sie sich in Luft auf. Sie war gekleidet wie für ein Staatsbankett. Ein dunkelgrünes Kleid aus schimmerndem Stoff mit Brokatbesatz umfloss ihren Körper. Um den Hals trug sie eine dreireihige Perlenkette. Aus ihren schneeweißen Haaren leuchtete eine purpurfarbene Strähne. Ihre Wangen waren rosig wie die eines jungen Mädchens. Hinter einer Brille mit Goldrand blitzten wache grüne Augen.
    »Wollen Sie nicht hereinkommen?«
    Ich putzte mir länger als nötig die Schuhe an der Fußmatte ab, ehe ich den Flur betrat.
    »Schöne Sträucher haben Sie in Ihrem Garten«, sagte ich. »Wie nennt man die eigentlich?«
    »Sie werden wohl kaum wegen meines Gartens gekommen sein«, sagte Lady Catherine mit einem Lächeln.
    Über einer Kommode aus Eichenholz, 16. oder 17. Jahrhundert, jedenfalls ein Vermögen wert, hing in einem schwarzen Rahmen das Foto eines Mannes mit verwegener Adlernase, sanft geschwungenen Brauen und silbernen Schläfen. Nahezu schwarze Augen; die Andeutung eines überlegenen Lächelns, einer unantastbaren Ironie in den Mundwinkeln. Ein Gesicht, dem das Alter nichts anhaben konnte.
    »Leonhard«, sagte Lady Catherine. Die Zärtlichkeit in ihrer Stimme weckte in mir märchenhafte Vorstellungen von unerschrocken alternden Paaren, die aneinandergeschmiegt durch die Jahrzehnte glitten. Nur sterben konnten sie nicht gemeinsam.
    »Darf ich Sie in den Salon bitten?«
    Von seinen Ausmaßen her glich der Raum eher einer Halle als einem Salon. An den Wänden hingen die Bilder derart knapp nebeneinander, dass mir schwindlig wurde. Eines der beiden großen Fenster gab den Blick frei auf die zur Elbe hin abfallenden Hänge, das andere ging auf den hinteren Teil des Gartens. Hohe Stapel von Bildern waren im ganzen Raum verteilt.
    In der Mitte des Salons standen ein antik anmutendes Chesterfield-Sofa aus schwarzem Leder und zwei leinenbezogene Sessel mit blauen und roten Blättermustern an einem ausladenden Mahagoni-Couchtisch. An der Wand hinter dem Sofa flackerte trotz der frühsommerlichen Temperaturen ein Feuer in einem offenen Kamin. Das gesamte Interieur erweckte den Eindruck, als hätte jemand einen klassischen britischen Living Room mitten in einen

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