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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte reumütig gebeichtet.
    »Das Kapitel über Freud«, sagte ich stattdessen, »war für meine Arbeit besonders wichtig. Haben Sie dazu denn noch weitere Unterlagen? Ich würde gern noch mehr über den Fall erfahren.«
    »Na ja«, sagte sie, »eigentlich darf ich darüber keine Auskunft geben. Es hat mich viel Mühe gekostet, an die Protokolle zu kommen, und ich musste hochheilige Schwüre leisten, sie vertraulich zu behandeln und keinesfalls weiterzugeben.«
    Protokolle , das klang aufregend. Ich spürte, wie sich mein Puls beschleunigte.
    »Es wäre auch nur für universitäre Zwecke«, sagte ich. »Fast privat, gewissermaßen.«
    »Das klingt nicht überzeugend«, sagte sie. »Sie werden sicher wollen, dass Ihre Arbeit gelesen wird.«
    »Aber nur von einem kleinen Kreis von Fachleuten.«
    »Von den Kunsthistorikern des deutschsprachigen Raums.«
    »So viele sind das ja nicht.«
    Sie begann zu lachen. »Sie sind ganz schön hartnäckig.«
    »Und ich kann Ihnen versprechen, dass ich …«
    »Versprechen reicht nicht«, unterbrach sie mich. »Sie müssen schwören!«
     
    Drei Tage später erhielt ich in einem großen braunen Kuvert eine Kopie der Anrufprotokolle von Mai 2001 bis April 2002: Notizen und Kommentare zu etwa achthundert Anrufen, die Mr. Mark Dalrymple, offiziell »Berater« des British Council, entgegengenommen hatte. Ich meldete mich bei Maia für diesen Tag im Maldoror ab und machte mich an die Arbeit.
    In einer kurzen Phase der Euphorie gab ich mich der Illusion hin, Dokumente in der Hand zu haben, die Thomas Watt nicht kannte. Das war natürlich Unsinn. Spätestens als ich auf die Notiz über den Anruf des Hoteliers aus Cornwall stieß, platzte die Seifenblase. Die Frage war nur, warum Thomas die Protokolle Maia und mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt hatte.
    Dalrymple hatte jedes Blatt Papier mit zwei senkrechten Strichen in drei Spalten gegliedert. In die erste hatte er den Inhalt des Anrufs und den angegebenen Standort des Anrufers eingetragen, in die zweite das Datum und die exakte Uhrzeit und in die dritte einen Kommentar. Stimme männlich , stand da etwa, behauptet, im Besitz des Bildes zu sein . Angegebener Standort: Berlin. 30. 6. 01, 18:05 . Als Kommentar : Gibt auf Nachfrage falsche Details an. Oder: Stimme weiblich, möchte ein Plakat erwerben . 1.7.01, 12:30 . Abschlägig beantwortet. Waren die Kommentare zu bloß vorgetäuschten Hinweisen anfangs noch ausformuliert, so wurden sie mit Fortdauer der Aktion zuerst durch Abkürzungen und schließlich durch Querstriche ersetzt. Dem Detektiv mochte es bei der Entgegennahme der Anrufe ähnlich ergangen sein wie mir bei der Durchsicht der Protokolle: Die anfängliche gespannte Erwartung wich einer pflichtbewussten Routine.
    Erst auf den letzten Blättern entdeckte ich wieder Zeilen, die mich fesselten.
    Am 8.2.02, 18:50 hatte Mr. Dalrymple notiert: Stimme männlich. Erkundigt sich zuerst nach dem Modus der Übergabe. Beharrt auf schriftlicher Garantie der Straffreiheit. Über den Tathergang informiert . Als Standort hatte er Berlin-Teltow angegeben. Empfehle dringend Nachforschungen stand in der dritten Spalte, darunter eine Telefonnummer. Auf dem nächsten Blatt folgte aber schon die Ernüchterung: Nach Angabe des Fahndungsleiters , hatte der Detektiv geschrieben, Spur Berlin-Teltow nicht weiter zu verfolgen . Kam die Weisung also von Thomas selbst? Warum hatte er die Ermittlungen so rasch eingestellt? Wahrscheinlich einfach, weil sie ins Leere geführt hatten. Alles war wohl weniger geheimnisvoll, als ich es mir gewünscht hätte.
    Der letzte bemerkenswerte Eintrag stammte vom 3. April 2002. Stimme männlich, detaillierte, korrekte Beschreibung des Bildes, Rückgabe avisiert. Standort: Hamburg . Weitere Kontaktaufnahme empfohlen . Seltsamerweise fehlte jedoch eine Telefonnummer.
    Der Rest der Notizen wies in der dritten Spalte nur mehr Querstriche auf. Mit Ende April endeten die Protokolle.
    Ich faltete die Papiere zusammen und steckte sie zurück ins Kuvert. Nahm die Lesebrille ab und massierte mit Daumen und Zeigefinger die Druckpunkte am Nasenrücken. Hinter den Augenlidern tanzten rote Lichtpunkte.
    Das waren sie also, die geheimen Protokolle, in die ich so hohe Erwartungen gesetzt hatte. Ich kam mir vor wie ein Schatzsucher, dessen Karte sich mit einem Zischen selbst in Brand gesteckt hatte. Am Ende hatte ich nur noch Asche zwischen den Fingern.
    Bis spät in die Nacht hinein spielte ich die

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