BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
exotisch wirken.
Dennoch zeigte er sich nicht in dem Maße beeindruckt, wie ich es erwartet hätte. Er kam mir vor wie jemand, den ich in dessen Traum besuchte und der jede Absonderlichkeit hinnahm, weil er im Stillen wusste, dass er nur träumte.
Nun, wenn dem so war, dann war es an der Zeit, den Menschensohn aus seinem Traum zu wecken...
»Wie heißt diese Stadt?«, fragte er, während er ein paar Schritte die Straße hinabging, in der wir uns wiedergefunden hatten, kaum dass die Wüste um uns her verblasst war.
»Sie hat noch keinen Namen«, sagte ich. »Wer sie regiert, soll sie nennen, wie es ihm gefällt.«
»Wer regiert sie?«
Ich schwieg und lächelte nur.
Dann fasste ich den Nazarener am Arm. »Komm, sehen wir uns die Herrlichkeiten dieser Stadt an.«
Er nickte. »In der Tat, herrlich ist sie. Aber doch auch leer und tot, wie mir scheint.«
Ich zog die Stirn kraus. »Wie kannst du das sagen? Sieh dich nur um – grüßt dich nicht jede Frau und jeder Mann hier? Lächeln sie nicht, als sei ihr Leben hier die reinste Wonne?«
Er hob die Schultern.
»Nur hohle Gesten«, meinte er. »Was aber ist der Sinn ihres Lebens? Ich kann nichts spüren, was Freude verhieße in dieser Stadt. So wie sie keinen Namen hat, scheint sie auch nichts zu haben, wofür es sich zu leben lohnt.«
Ich führte ihn tiefer hinein in die Stadt, vorbei an palastartigen Bauten, über weite Plätze. Zu Hunderten kreuzten Bewohner der Stadt unseren Weg, und jeder einzelne schenkte uns sein Lächeln. Wie konnte ein Mensch, der als Sohn eines einfachen Zimmermanns aufgewachsen war, sich nicht erwärmen für dieses Ambiente?
Wir stiegen auf einen der höchsten Türme der Stadt. Oben angelangt, lag uns buchstäblich alles zu Füßen – eine ganze Welt...
»Gib
du
dieser Stadt etwas, für das es sich zu leben lohnt«, griff ich den Faden von vorhin wieder auf.
Der Nazarener sah mich überrascht an. Dann schüttelte er den Kopf.
»Wie könnte ich das?«, fragte er. »Ich bin nur ein Mensch.«
»Das bist du nicht, und du weißt es so gut wie ich.«
»Dann weißt du mehr als ich.«
Es klang so... ehrlich, was er sagte, so tief empfunden. Und ich wusste in diesem Augenblick mehr denn zuvor, weshalb die Menschen ihm alle Aufmerksamkeit schenkten, warum sie jedes Wort von ihm förmlich tranken und verinnerlichten. Der Nazarener war schiere Überzeugung und fleischgewordene Wahrhaftigkeit.
Und so glaubte ich ihm, dass er wirklich nicht wusste, wer er war und wozu er berufen war.
Was in mir jedoch keineswegs die Bereitschaft weckte, ihm zu verzeihen! Solches war mir fremd – nur Zorn wallte in mir ob seiner Unwissenheit. Und ich wollte ihm die Augen öffnen, auf dass er
seine
Wahrheit sah – bevor ich ihm die meine zeigte...
»So will ich mein Wissen mit dir teilen«, sagte ich kalt.
Mein Blick schweifte über die Stadt, und wo er sie traf, veränderte sie ihr Gesicht. Aus strahlendem Glanz wurde dunkler Verfall, die engelhaften Chöre brüllten mit einem Mal vor Wut und Pein, und aus den Straßen stieg übler Brodem zu uns herauf.
Der Boden unter unseren Füßen begann zu wanken, der Stein zu knirschen, und der Turm selbst ächzte wie vor Schwäche –
– ehe er zusammenbrach und seine Trümmer uns nach unten rissen!
Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab;
Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben,
und sie werden dich auf den Händen tragen,
damit du deinen Fuß nicht an einem Stein stößt.
Matthäus, Kap 4, Vers 6
Mir selbst konnten die niederstürzenden Trümmer nichts anhaben. Kaum kamen sie mir nahe, verwandelten sie sich in flüssige Glut, so heiß, dass sie verdampften und nur ätzenden Geruch hinterließ.
Im eigenen Sturz beobachtete ich den Nazarener. Und staunte, denn die Angst in seinen Zügen war ohne Zweifel echt! So wie er gebärdete sich niemand, der wusste, dass ihm kein Leid geschehen konnte – nicht jemand, der die Macht besaß, sich vor dem Unbill aller Welten zu schützen!
Sollte ich mich derart in ihm getäuscht haben? Bedeutete sein Name
Menschensohn
wirklich nicht mehr, als dass er nur und nichts als der Sohn eines Menschen war? Stand er am Ende nicht im Dienste des Verhassten, sondern predigte er lediglich dessen Wort so eindringlich, wie es keiner vor ihm getan hatte?
Jedenfalls tat dieser Nazarener nichts, was ihm zur Rettung gereicht hätte. Steine schlugen im Fall gegen seinen haltlos wirbelnden Leib, Blut floss, und sein Schrei hing ihm an wie ein Geist, der mit ihm in
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