BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Schultern seines schwarzen Mantels reichte. Er löste sich aus Salvats Griff und trat direkt an das noch unfertige Gemälde heran.
"Ich habe es schon gesehen. Es ist die Spur, der
ich
zu folgen habe", erklärte Raphael Baldacci. Er drehte sich zu Salvat um. "Ich allein."
Es dauerte lange, bis Clarence Mirvish sein Ziel erreichte.
Zwar hing über ihm am Firmament der Mond in vollem Rund, doch verschlangen schwarze Wolkenberge sein Licht. Nur hin und wieder schufen sie eine Lücke, ließen silbrigen Schimmer hindurch, aber stets nur genug, um Clarence den Bergpfad ein paar Schritte weit erkennen zu lassen. Wenn er den Blick hob, um nach dem trutzigen Castle Ausschau zu halten, schoben die Wolken sich wieder vor den Mond und hüllten den nächtlichen Wanderer in Finsternis.
Vom Weg kam Mirvish trotzdem nicht ab. Er hatte McLaughlin gegenüber nicht geprahlt, als er gesagt hatte, er fände den Weg auch blind.
Die Anstrengung und der kühle Wind, der das ganze Jahr über unablässig vom Atlantik heran wehte und die Felsen der Cape Breton Highlands schliff, hatten Clarence Mirvish auch noch das letzte bisschen Taubheit aus den Gliedern gesogen, das der Whisky darin hinterlassen hatte. Ebenso hatte sich sein Geist vollends ernüchtert. Aber umgekehrt war es deswegen nicht. Im Gegenteil, klaren Verstandes wollte er erst recht wissen, was in Kilchrenan Castle vorging. Zwar war mit der Ernüchterung auch die Erinnerung an die Furcht, die er am Abend verspürt hatte, als er das Kind oben auf dem Turm gesehen hatte, wieder in wirkliche Angst umgeschlagen, doch er hielt sie mit eisernem Willen im Zaum.
Etwas
ging hier vor. In der Gegend, die seine Heimat war. Und es war sein Recht ebenso wie seine Pflicht, in Erfahrung zu bringen,
was
es war.
Schweratmend hielt Mirvish inne.
"Nur eine halbe Minute Rast", keuchte er und grinste unwillkürlich, als ihm bewusst wurde, dass er sich gerade gönnte, was er den Fremden bei den Touren durchs Hochland nicht zugestand.
Der Atem stockte ihm nach drei Zügen. Als der Mond ein weiteres Mal zwischen den Wolken hervortrat.
Kilchrenan Castle tauchte vor ihm auf, als hätte die Nacht das monströse Bauwerk ausgespien. So nahe, dass Mirvish fast glaubte, nur den Arm ausstrecken zu müssen, um die schwarzen Mauern zu berühren.
Trotzdem brauchte er noch eine gute Viertelstunde, bis er endlich vor dem gewaltigen Tor in der Mauer stand. Auf der anderen Seite leuchtete silbernes Licht den schuttübersäten Innenhof aus, doch direkt unter dem steinernen Torbogen nistete schattige Schwärze, in die Mirvish hineinzutreten zögerte. Vielleicht lag es an den verwitterten Steinköpfen, die um das Tor herum aus der Mauer ragten und die irgendwann einmal Tieren nachempfunden gewesen sein mochten. Heute jedoch, zerfressen von Wind und Wetter, waren es die schwarzen Schädel von Dämonen, die aus leeren Augenhöhlen auf Clarence Mirvish herab starrten.
Er fühlte sich von ihren toten Blicken noch verfolgt, als er sich schließlich doch ein Herz fasste und durch das Tor in den halbrunden Hof dahinter schritt. Hier verharrte er wieder, lauschte und ließ den Blick schweifen.
Doch er sah und hörte nichts.
Nichts außer dem, was schon immer hier gewesen sein musste.
Der Wind klang zwar ein wenig anders als draußen, aber nur weil er sich heulend und pfeifend an Ecken und Vorsprüngen fing. Die Gebäude um ihn her sahen aus, wie sie es, seit Jahrzehnten verlassen und dem Verfall preisgegeben, tun mussten: verlassen und verfallen. Dennoch fiel es Mirvish nicht schwer, die ursprüngliche Bedeutung eines jeden einzelnen Bauwerks zu benennen. Dort drüben mussten die Stallungen gewesen sein, dies hier das Gesindehaus, und im größten der Bauten hatte die Herrschaft selbst residiert.
Und dort droben auf dem Turm...
Clarence Mirvish zuckte zusammen, als hätte man ihm einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet!
Der Wind,
beruhigte er sich,
nur der Wind, alter Narr.
Zwei Sekunden lang hatten seine Versuche tatsächlich Erfolg. Dann hörte er es wieder.
Das Kichern. Das leise Lachen eines Kindes.
Mirvish wollte rufen, doch seine Zunge lag ihm wie ein Stück totes Fleisch im Mund. Und der Geschmack, den er plötzlich verspürte, passte dazu...
In angespannter Haltung lauschte er. Fast war er geneigt zu glauben, sich doch getäuscht zu haben, als er es wieder vernahm. So deutlich diesmal, dass er sogar die Richtung, aus der es kam, bestimmen konnte.
Sein Blick glitt zum Herrschaftshaus
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