BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
hin, an der mit trockenem Gestrüpp bewachsenen Fassade empor, zu einer der leeren Fensteröffnungen hin –
– die nicht leer war!
Zumindest nicht in dem Moment, da sein Blick sie erreichte.
Etwas huschte genau in diesem Augenblick zurück und wurde eins mit der Finsternis dahinter. Etwas – oder
jemand
.
Clarence Mirvish wusste, dass es jetzt am klügsten gewesen wäre, kehrtzumachen und zu verschwinden.
Er
wusste
es. Nur – er tat es nicht.
Fast überrascht, wenn auch nur im allerersten Moment, stellte er fest, dass seine Füße ihn dorthin trugen, wo er eigentlich nicht hinwollte. Auf die breiten Stufen der Freitreppe zu, die zum Portal des Herrenhauses emporführet. Dann ließ er es einfach geschehen, betrat die Treppe, stieg sie hoch und drückte die schwere Tür auf, die dumpf kreischend nach innen schwang. Viel schneller, als sie es unter dem zögernden Druck seiner Hand hätte tun dürfen...
Doch der Gedanke verwehte.
Clarence Mirvish trat über die Schwelle. Die Wolken draußen schienen ihre Verschwörung gegen ihn aufgegeben zu haben. Mond und Gestirn durften ihr Licht ungehindert herab senden, und es fiel genug davon durch die glaslosen Fenster, dass Mirvish sich orientieren konnte. Sogar Details ließen sich ausmachen.
Er stand inmitten einer Halle, die weit über ihm von einer Galerie gesäumt wurde, zu der eine Treppe hinaufführte. An den Wänden ringsum sah Mirvish Gemälde; wuchtige Ölbilder, die fast ausnahmslos Porträts zeigten. Die Ahnenreihe derer von Kilchrenan, oder zumindest jene Vertreter des Familienzweiges, der sich hier niedergelassen hatte; und es mochten auch die letzten des Geschlechts hier verewigt sein, die schon so lange tot waren, dass Clarence Mirvish sie nicht mehr gekannt hatte.
Im oberen Stockwerk hatte er die Bewegung an einem der Fenster gesehen. Von dort war das Kichern gekommen.
Dieses
Kichern!
Es schwirrte um Mirvish herum wie ein aufgeschreckter Schwarm Fledermäuse, brach sich an den Wänden und zersplitterte in tausend Echos.
Hastiger als er selbst es wollte, stieg er die Treppe hinauf zur Galerie. Oben führte ein Gang zu beiden Seiten weiter. Mirvish ging nach rechts. Zum einen, weil er die Bewegung in einem der dort gelegenen Zimmer ausgemacht hatte –
– zum anderen, weil dort eine Tür schlug! Schwer krachte sie ins Schloss. Das Geräusch rollte durch den Flur, und Mirvish fühlte sich davon regelrecht berührt.
Er schluckte hart. Es tat weh, weil sich in seinem Mund kaum Speichel sammelte.
"Ein Kind", flüsterte er rau. "Okay, ein Kind. Wenn ich den Bengel erwische..."
Der Gedanke verschaffte ihm ein wenig Erleichterung. Natürlich, so konnte es sein. Ein Junge hatte sich hier versteckt, ein Ausreißer vielleicht, und er mochte sich einen Spaß daraus machen, andere zu erschrecken...
Mirvish grinste, reichlich verunglückt und nicht halb so grimmig, wie er es sich wünschte. Aber er grinste, und es gab ihm wenigstens ein gutes Gefühl.
"Du wirst dich wundern, Bürschlein", knurrte er. "Dein blaues Wunder wirst du erleben."
Er lief los, den Flur hinab. Die ersten beiden Türen ließ er aus; sie lagen zu nahe, als dass sie es gewesen sein konnten, die zugeschlagen worden waren. Das hätte anders geklungen.
Die dritte öffnete Mirvish schließlich. Dahinter befand sich – nichts. Ein paar Möbelstücke, deren Form sich unter den Spinnweben kaum noch erahnen ließ, aber nichts, wo jemand sich hätte verstecken können.
Hinter der vierten fand er ein ähnliches Szenario.
Und hinter der fünften ein Bett. Ein Bett, in dem jemand lag! Eine Nonne, wie Clarence Mirvish im Nähertreten erkannte.
Eine
tote
Nonne.
Ihrem Aussehen nach musste sie schon sehr lange tot und in geradezu biblischem Alter gestorben sein.
Trotzdem – Mirvish hatte das seltsam sichere Gefühl, dass diese Frau allenfalls seit ein paar Stunden tot war. Er sog schnüffelnd die Luft durch die Nase. Nicht einmal Verwesungsgestank nahm er wahr. Nur den Geruch von Alter und Staub, wie er im ganzen Gebäude allgegenwärtig war.
Er ging noch ein wenig näher, bis er direkt neben dem Bett stand. Das Mondlicht rahmte es in ein silbernes Viereck. Die Kleidung der Toten, die Bettwäsche...
Clarence Mirvish begriff, woher jene Sicherheit über den Zeitpunkt lag, zu dem die Nonne gestorben sein musste. Weder ihre Tracht noch die Bezüge von Decke und Kissen wiesen irgendwelche Spuren von Verfall auf. Sie rochen zwar keineswegs wie frisch gewaschen, aber sie waren
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