BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
gerissen und schälte sich ab, darunter schimmerte das schmutzige Weiß des Schädelknochens. Der Mund stand zu einem dunklen Oval offen, in das zwei faulende Eckzähne ragten...
»Bei den Hohen!«, entfuhr es Sardon. »Wer ist das?«
»Timot.« In Tanors Stimme mengten sich Wut, Bedauern, Trauer und Erschütterung. In einer hilflosen Bewegung streckte er die Hand vor, als wollte er nach dem verlorenen Sohn greifen. Er ging einen Schritt auf den anderen zu und blieb dann doch stehen, vom Grauen gelähmt.
»Wie ist das möglich?«, fragte Sardon tonlos. »Wie kann er...?«, Sein Blick pendelte zwischen den letzten beiden Vampiren der Delhi-Sippe hin und her.
»Ich fürchte, ich weiß es«, erwiderte Tanor düster.
Timot nickte, langsam, weil jede hastige Bewegung seinen Leib noch ärger verwüsten konnte.
»Du irrst dich nicht«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ich habe Sahya Patnaik seines Talentes beraubt, als ich ihn tötete. Und seither 'erweckt' er mich – Nacht für Nacht.«
»Warum bist du nicht zu mir gekommen?«, wollte Tanor wissen.
»Hättest du denn Wert auf die Gesellschaft –«, Timot wies an sich herab, »– eines solchen
Dings
gelegt?«
Tanor schwieg.
»Was geht hier vor?«, fragte Sardon. »Wie ist das möglich?«, Er wies auf den Vampir, dessen Leib sich die geraubten Jahrhunderte zurückerobert hatten.
Tanor erzählte, was er vermutete, und Timot hatte dem nichts hinzuzufügen. Sein Blutvater hatte die Sache treffend erkannt.
»Was ist das für eine Gabe, die er sein eigen nennt?«, fragte der Hüter dann, mit einer Kopfbewegung zu Timot hindeutend.
Tanor zuckte die Schultern und sagte: »Du weißt, dass es heute überall auf der Welt Menschen gibt, denen man 'paranormale Fähigkeiten' zugesteht. Solche Menschen wurden auch früher schon geboren, nur gab es damals nicht die Möglichkeiten, solcherlei Talente zu erforschen. Und wer um seine Gabe wusste, hielt sie geheim, weil er sonst Gefahr lief, der Hexerei bezichtigt zu werden. Timot muss einst eines dieser Kinder gewesen sein. Wohl unter dem Einfluss des schwarzen Blutes hat sein 'Para-Talent' sich dahingehend entwickelt, dass er es vermochte, andere über sein Aussehen zu täuschen, indem er ihnen fremde Gesichter und Gestalten vorzuspiegeln verstand.«
Sardon nickte. »So könnte es in der Tat gewesen sein.« Er machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach. »Und nun trägt er also zusätzlich Kraft und Bewusstsein desjenigen in sich, den ihr den 'Erwecker' nanntet. – Inwiefern kannst du dich seiner Gabe bedienen?«, wandte er sich direkt an Timot.
»Zur Gänze«, antwortete der Vampir. »Er zwingt mich, sein früheres Leben zu führen, sein einstiges Tun fortzusetzen.«
Sardon grinste verschlagen.
»Dann steht meinem ursprünglichen Plan ja nichts im Wege«, meinte er und trat auf Timot zu. Seine Hand fuhr in den Lederbeutel, umschloss, was darin war, und kam wieder zum Vorschein. Seine Faust kam auf die rissige Brust des Vampirs zu, als wollte er ihm einen Stoß versetzen.
»Nimm den Kelch und ergründe seine Geheimnisse«, verlangte er.
»Was soll ich...?«, begann Timot, der den Gral als solchen erkannte. Ein seltsamer Schimmer stahl sich in seinen trüben Blick, ein Abglanz der Ehrfurcht, die er selbst jetzt noch vor dem Unheiligtum seiner Rasse empfand.
»Ich kann nicht...«, presste er mühsam hervor.
Es waren Timots letzte Worte.
Sahya Patnaik übernahm Tun und Denken des Körpers, der zu seinem Kerker geworden war. Indem er an Timots Wissen teilhatte, wusste er, worum es sich bei dem bizarr geformten Kelch, den Sardon ihm reichte, handelte. Und selbst spürte er, dass es mehr, viel mehr als ein leeres, totes Gefäß handelte. Es war weder leer noch tot...
»Gib her!«
Er riss Sardon den Gral aus der Hand. Seine Blicke, nicht länger trüb und leer, sondern kalt und glitzernd, flirrten über die Oberfläche des Kelchs, die wie aus Tausenden winziger Splitter zusammengefügt schien; einer für jede Seele, die einst in ihm gefangen gewesen war...
Gewesen...?
Patnaiks Blick tauchte in die Schwärze der Kelchöffnung. Und mit ihm ein kleiner Teil seiner Kraft, so wenig, dass es ihm selbst kaum bewusst war. Einem hauchdünnen Tentakel gleich tastete die Energie in der Lilienblüte umher –
– und berührte etwas!
Etwas erwachte. Wie aus todesähnlichem Schlaf...
Wortlos wandte die Gestalt des Vampirs sich unter Patnaiks Befehl um.
»Wohin gehst du?«, rief Sardon.
»Nach Hause«, kam die Antwort, und
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