Bad Fucking
hatte, wurden hellhörig.
»Was ist denn los? Ist leicht etwas mit dem Pamminger passiert?«, wollte Nutz wissen.
»Nein, mit dem Pamminger ist nichts passiert, aber der alte Schallmoser liegt beim Pamminger«, antwortete Wellisch kurz angebunden.
»Was, der Vitus?«, fragte Lassacher erstaunt. »Wie kommt denn der zum Pamminger? Der ist doch schon seit ewigen Zeiten nicht mehr hier im Ort gewesen.«
»Der Schallmoser hat in seiner Behausung einen Unfall gehabt. Der Bartl hat ihn gefunden, und wir haben ihn zum Pamminger in die Metzgerei gebracht. Aber jetzt hab ich keine Zeit mehr. Komm, Sepp, gehen wir.«
»Ist er tot, der Schallmoser?«, fragte Roswitha lauernd.
»Ja, sicher ist er tot«, antwortete Wellisch, »sonst täte ich ja nicht den Schreckenschlager holen.«
Schreckenschlager erhob sich und streckte sich seufzend. »Selbst bei der Affenhitze müssen die Leute sterben.« Er nahm noch schnell einen Schluck und sagte im Weggehen: »Schwer wird mia mein Gmüat, mein Gott, bin i müad.«
Wellisch und Schreckenschlager verließen die Gaststube.
»Rosi«, sagte der Bestattungsgehilfe Stöckl lachend, »bald gibt es wieder einen Rindfleischwandertag.«
»Na, hoffentlich wird’s keine Beuschelleich«, antwortete Rosi, während sie Schreckenschlagers Bierglas wegräumte.
»Nein, nein, das glaube ich nicht«, mischte sich Lassacher ein, »die Karin wird schon dafür sorgen, dass ihr Exmann kein Begräbnis zweiter Klasse bekommt. Das wäre jedenfalls ziemlich peinlich, wenn’s da kein Rindfleisch geben täte.«
»Ja, genau«, pflichtete ihm Nutz bei. »Die letzte Beuschelleich war die vom Tschick-Sepp, aber der war ja wirklich völlig mittellos.«
Angeführt von einem achtzehn Jahre alten und zehn Kilogramm schweren Königsaal bewegten sich tausende Aale von Osten kommend Richtung Höllensee. Ihre Reise durch Flüsse, Bäche und Seen – und fallweise auch über Land – würde noch drei Nächte dauern, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. In der Sargasso-See geboren, im Atlantik zu einem Glasaal herangewachsen, war der Königsaal jahrelang durch die verschiedenstenGewässer Europas gewandert und jetzt zu seinem Sterbeort unterwegs. Dem Königsaal wiesen das Magnetfeld der Erde und die Sterne seinen Weg, dem er unbeirrt folgte. In jedem Gewässer, das die Aale durchquerten, schlossen sich ihnen immer mehr Tiere an. Nach dem Tod des Königsaals würden die geschlechtsreifen Aale ihre Reise zurück in die Sargasso-See antreten, um an ihrem Geburtsort abzulaichen und anschließend zu sterben.
Veronika Sandleitners großer Traum war es, zumindest einmal als Opernsängerin auf einer großen Bühne zu stehen. Aber stattdessen stand sie im einzigen Foto- und Souvenirgeschäft von Bad Fucking hinter dem Ladentisch und wartete darauf, dass etwas geschah. Aber es geschah nichts.
Nachdem ihre Eltern vor acht Jahren beim Bergsturz ums Leben gekommen waren, hatte sie zwar mehrmals versucht, das Geschäft zu verkaufen, aber die Bank, die im Grundbuch eingetragen war, blockierte alle diesbezüglichen Bemühungen. Sie wollte lieber warten, bis Veronika die Luft ausging. Wozu ein Haus kaufen, wenn man es auch umsonst bekommen konnte? Zehntausend Euro schuldete Veronika der Bank noch, und das war exakt der Betrag, den ihr die Bank für das Haus angeboten hatte. Ein Witz, das Ganze.
Damals, als der Berg herunterkam und einen Teil des Ortes unter sich begrub, waren ihre Eltern gerade im Auto auf dem Weg nach Hause gewesen. Gefunden hat man sie ebenso wenig wie die anderen Opfer. Seither steht das Fotogeschäft am Ende des Ortes in einer Sackgasse. Dahinter hat sich auf einer Länge von etwa einemKilometer eine neue Bergformation gebildet. Die Straße ist verschwunden, die hat der Berg einfach verschluckt.
Unmittelbar nach der Katastrophe waren zwar zahlreiche Politiker mit Kamerateams im Schlepptau aufgetaucht und hatten sich mit gelben Schutzhelmen und Schaufeln fotografieren lassen, aber geholfen hat den Leuten niemand. Für die Versicherungen war es
höhere Gewalt
, und damit war die Sache erledigt.
Wie oft Veronika auch rechnete – und sie rechnete oft –, es kam immer das gleiche deprimierende Ergebnis heraus: Zwei Jahre würde sie noch brauchen, bis sie schuldenfrei war und diesen Ort endlich verlassen konnte. Dann war sie siebenundzwanzig und für die Oper wahrscheinlich schon viel zu alt.
Kurz nach dem Tod ihrer Eltern hatte Veronika in ihrer Verzweiflung eines Nachts zu singen begonnen. Und als sie merkte,
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